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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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sind die aus dem letzten Jahrhundert oder noch viel älter. Es gibt da einen Haufen Kirchen und Denkmäler und Brücken, auf denen man stehen und auf den Fluss sehen kann. In den Isarauen führen Leute ihre Hunde aus und im Sommer liegen da welche und sonnen sich. Man machte alles zu Fuß, man konnte da abends zu Fuß in eines dieser kleinen Theater gehen und Spargel stellte sich vor, dass es so in Paris 1965 gewesen sein musste. Sie hatten sich in einem Schwabinger Kellertheater „Die Fliegen“ angesehen. Und dann die Museen, jeden Tag konnte man eine Ausstellung besuchen, wenn man wollte. Das war eine Stadt, eine richtige. Nur so schön hatte er sich das nicht vorgestellt.
    Wenn man sich in Veras Appartement weit aus dem Küchenfenster lehnte, konnte man den Fluss zwischen den Bäumen sehen. An einigen Vormittagen musste Vera arbeiten, da hatte er sich mit Bruno Zeiner unterhalten. Der hatte ihm sein Studio gezeigt, 76 m², und dann die Werbekampagnen in den Zeitschriften, von ihm fotografiert. Er mochte Bruno. Es gibt eben Leute, die mag man auf Anhieb. Der war zwar bestimmt schon 50 und redete ein bisschen viel, aber er hatte sofort einen Draht zu ihm. Sein Vater käme aus Münster, sagte er, und er fände das Ruhrgebiet toll. Das verstand Olaf natürlich überhaupt nicht, wie man diese Gegend toll finden konnte. „Doch, die Leute da oben sind in Ordnung. Grade raus. Nicht so wie hier. Aber das wirst du noch merken.“ Spargel war´s egal, er fühlte sich einfach zu gut und saugte alles, was er in dieser Stadt erlebte, auf wie ein Schwamm.
    Wenn er Vera morgens zur Arbeit begleitete und sie die Brücke passierten, dann hatte er ein Gefühl, als würde sich seine Brust weiten und er könne endlich atmen und noch niemals hatte er eine Frau so geliebt. Vera und Olaf gingen auf dem Zahnfleisch, um es mal so auszudrücken, denn sie hatten sich die halbe Nacht geliebt, in ihrem zu engen Bett, auf dem Teppich, unter der Dusche. Und heute Nacht würden sie es wieder tun, vielleicht auch schon vorher, weil sie es nicht mal jetzt aushielten, wenn sie sich ansahen oder kurz berührten. Wie konnte man eine Frau so lieben?
     
    Das Café Enzo war eine italienische Eisdiele mit dunkelroten Lederstühlen. Er mochte das Café eben wegen dieser Stühle. Es hatte etwas von alten italienischen Filmen und nicht den süßlichen, schweren Mief deutscher Cafés. Im Enzo las er ihre Briefe. Sie bestellten Espresso und ein Glas Wasser. Da saßen sie also: Vera und Olaf, die jetzt endlich, wirklich ein Paar waren und zusammengehörten, etwas, was man sich angesichts des über Jahre dauernden Hin und Hers einfach immer wieder vor Augen halten muss. Olaf hatte einmal gesagt: „Ich hab einfach Angst, dass du mir nicht das geben kannst, was ich brauche.“ Das war bei ihrem ersten Wiedersehen, lange her, aber nicht vergessen, die Worte froren ein und blieben intakt. Er meinte diesen Satz durchaus ernst, doch weidete er sich vor allem an ihrem Leid und litt selbst sehnsuchtsvoll mit. Heute schwärmten sie gemeinsam für die Stühle im Café Enzo wie sie überhaupt von früheren Zeiten schwärmten. Und insgeheim schwärmten sie für einen dramatischen Kern in der Liebe.
    Vera legte Fotos auf den Tisch. Nette Dokumente von Spargels einwöchigem Aufenthalt in München, mit Selbstauslöser geschossen das lachende, verliebte Paar beim Kochen, im Restaurant, in der Kneipe, im Englischen Garten, Olaf vor dem Rathaus, Olaf mit einer Maß in der Hand, Vera lächelnd vor den Zeiner-Studios, ernst vor dem Deutschen Museum, nackt im Bett. Was ihn am meisten interessierte, holte Vera jetzt aus einem schwarzen Plastikumschlag: eine Schwarzweiß-Serie „Olaf“, die sie an einem Nachmittag in ihrem Studio gemacht hatte. Olaf betrachtete sich mit klopfendem Herzen. Es waren sechs Abzüge, auf denen er einen ihm unbekannten Mann sah; das heißt, er war es, aber irgendwie auch nicht. Es gab zwei Fotos mit nacktem Oberkörper, auf denen er alt wirkte. Seine Schultern wirkten eingefallen, der Bauchansatz überbordete den Hosenrand, und aus seiner kalkweißen Haut, die sich vor dem dunklen Hintergrund abhob, schien alles Leben gewichen zu sein, sie war nichts als eine helle Fläche auf dem Papier. Was ihn am meisten befremdete, war sein Gesicht, dieser müde Ausdruck in den Augen, dieser Mund, der erhaben lächeln wollte, weil er sich bei der Session gut gefühlt hatte, wie ein König, begehrt und selbstsicher, und der hier zynisch, sogar ein bisschen

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