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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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sich auf den Boden und spannte einen Bogen ein. Schief, noch mal. Ich bin ein kleiner Philosoph. Das dachte er und Tee brauchte er keinen mehr. Er schob den dampfenden Kessel zur Seite. Er musste darüber schreiben, dass er zur Freiheit verdammt war. Aber nee, eigentlich nahm er sich die Freiheit, die Gedanken abzubrechen, zu zerbrechen, etwas anderes zu tun als die Gedanken vorgaben. Welch ein Gewicht, mit dem der Mensch belastet ist! Sollte er eine zynische, verhasste oder verzweifelte Haltung einnehmen? Er begann, mit zusammengebissenen Zähnen auf die Tastatur einzuhauen. Das a und das r klemmten und die Typenarme überkreuzten sich wie störrische, unwillige Tentakel. Eine hässlich verschmierte Zeile mit fliegenden und übereinander geschichteten Buchstaben erschien oben auf dem weißen Blatt. Derr Mensch, dert Menscvh! Ein Wuem, wurm der nicht mal kriechen kaa
    Wütend riss er an dem Bogen, das untere Stück blieb in der Walze klemmen. Scheiß Maschine. Sah einfach nur alt und geil aus, benutzen konnte man sie nicht. Er warf das schwere Ding auf den Boden, trampelte mit dem Fuß drauf. Es schepperte unter ihm, aber kaputt ging das verdammte Ding nicht. Auf seinem Sofa lag Steve, Steve schnarchte, die Musik ging ihm auf die Nerven. Alles kaputt schlagen. Er nahm die Schreibmaschine und warf sie gegen die Wand. Endlich flogen ein paar Teile auseinander, im Putz blieben zwei dicke Kerben und ein dunkler Fleck zurück. Vera würde ihn verstehen. VeraVeraVera. Warum konnte sie nicht da sein, wenn er sie brauchte? Er setzte sich auf den Boden und heulte. Über Steve, über sich selbst und die Beschissenheit des Lebens, die heute an ihm kleben geblieben war, über den Anblick einer kaputten Schreibmaschine. Mindestens zehn Minuten lang. Dann wurde er müde.
    Als er sich angezogen auf seine Matratze warf, zeigte der Wecker vier Uhr zwanzig.
    Ruhe.
    Kurz nach sieben wachte er mit dem Gefühl auf, dass etwas nicht in Ordnung war. Sein Kopf war nicht mehr hohl, er war gefüllt mit heißem Blei, das gegen die Innenwände drückte und seinen Körper vergiftete. Schwerfällig stand er auf. Er musste nötig pinkeln, ging aber geradewegs in der Küche, wo er sofort eine unnatürliche Hitze wahrnahm. Der stinkende, sabbernde Steve lag in dieser Hitze mit Jacke und Hose auf dem Sofa. Der Anblick der rot glühenden Herdplatte machte Spargel sofort hellwach. Panisch zog er den Stecker raus. Hätte er eine halbe Stunde länger geschlafen, wäre es vielleicht zu spät gewesen. Feuer in seiner Küche.
    „Mensch, merkst du eigentlich gar nichts!“, brüllte er.
    Seine Küche. Und wie es hier aussah! Überall Dosen, Flecken auf dem Teppich, die Anlage summte, die kaputte Olympia, der Druck auf seine Blase wurde unerträglich, doch das Nachklingen der Gefahr ließ ihn zitternd auf der Stelle verharren.
    „Scheiße noch ma, Steve, wach auf!“ Steve blinzelte.
    „Was issn los, Mann ...“ Er setzte sich langsam auf, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und begann zu husten. „Was schreist´n hier so rum? Kannste nich mal die Heizung ausmachen?“
    „Die Herdplatte war an, ej, hier hätt´s fast gebrannt, und du pennst bei der Hitze!“ Spargel machte jetzt alle Fenster auf, drehte die Anlage aus und ging nervös hin und her.
    „Hasse was zu trinken?“
    Er holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und knallte sie auf den Tisch.
    „Nee, ich mein was Richtiges, was Alkoholisches.“
    „Mann, Steve, wir ham sieben Uhr!“ Dann warf er einen Blick auf seinen Kumpel. Der sah aus, als würde er jeden Moment vor die Hunde gehen, seine Hände zitterten wie bei einem, der die Parkinsonsche hat. „Ich hab nichts da, tut mir leid. `N Kaffee kann ich dir höchstens machen.“
    Steve schüttelte den Kopf. „Nee, bloß kein Kaffee. Kannste mir nich was holen?“
    „Du gehst ja bestimmt gleich. Wenne die Straße weiter runtergehst, iss anne Ecke ne Bude, die hat auf.“
    Und dann sah Steve ihn mit einem Blick an, so von unten. Der Blick traf ihn, blieb bei ihm, würde sich vielleicht eines Tages in seinen Träumen zeigen. „Kannste mir nich ne Pulle holen? Ich schaff das jetz nich“, sagte er so leise, dass man es kaum hörte, und doch war es so überdeutlich, als hätte er laut gesprochen.
    „O.k., ich hol dir was. Haste Geld?“
    Steve schüttelte den Kopf. Spargel nahm seine Schlüssel und verließ die Wohnung.
    Während er die Heroldstraße entlang zum Kiosk ging, hatte er das Gefühl, dass Traurigkeit körperlich weh tat.

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