Revierkönige (German Edition)
Tischnachbarin. Sie wollte gern unbeschwert sein, zeigte aber nur eine unbeschwerte Maske, diese Maske zu tragen war anstrengend. Und Silvia, der war auch nicht ganz wohl.
Dieser Abend gestaltete sich nicht so wie man sich den letzten Abend des Jahres wünschte. Immer erwartete man, dass alles perfekt war, und wenn man begriff, dass es das Perfekte gar nicht gab, war´s zu spät, dann war man alt, dann interessierte es einen nicht mehr.
Die Kellnerin stellte mit lieblichem Lächeln zwei Heizplatten auf den Tisch und Spargel sagte: „Danke, Mai Ling!“ Er nahm einen großen Schluck Weißwein. „Warum heißen eigentlich alle Chinesinnen Mai Ling?“
Ihr Kollege, der überhaupt nicht lächelte, verteilte vier ovale Teller mit verschiedenen Gerichten auf den Heizplatten. Es sah alles ähnlich aus und schmeckte und roch wie beim Chinesen in Deutschland, unsere Gruppe aber griff gerne zu. Außer Spargel, der wusste nicht mehr, was er machen sollte. Der Freese nahm geschickt die Stäbchen zwischen seine Finger, auch Silvie aß mit Stäbchen, Vera versuchte es, griff aber bald zum gewohnten Besteck. Der Spargel blickte auf seinen Teller und sagte mit seiner Kleinkind-Stimme: „Ich mag das nich. Ich hab keinen Hunger.“
Vera blickte panisch auf und merkte nicht mehr, was sie aß. Neben ihr speiste Silvie zierlich, der Freeses zerkaute genüsslich Mandeln und Sprossen. Er liebe Gerichte im Wok, sagte er, und pickte die scharf angebratenen Entenfleischstückchen vom Teller auf. Vera bestellte jetzt eine Literflasche Mineralwasser, schüttete ein großes Glas voll und schob es neben Olafs Teller. Olaf merkte das nicht, er lächelte sie verliebt an, doch seine Augen hatten Schwierigkeiten, sich an ihrem Gesicht festzuhalten und schienen irgendwie schräg durch sie hindurchzublicken. Er beugte sich über den Tisch, unter dem Tisch berührte er mit seinen Händen ihre Knie. „Wie lange dauert das noch?“, fragte er leise, sich immer noch in der Kleinkindstimme bewegend. Vera wünschte, das würde bald vorübergehen, fürchtete aber, dass die Substanzen in Spargels Blutkreislauf noch gar nicht ihre volle Wirkung in dessen Hirn entfaltet hatten, sprich: das Peinlichste stand noch bevor.
„Iss doch was“, bat Vera.
„Wann gehen wir?“
„Der Abend hat doch gerade erst angefangen. Wenn wir mit dem Essen fertig sind.“
„Wie lange dauert das noch?“
„Nicht lange“, sagte Vera resigniert. „Jetzt iss doch was!“
Spargel sang: „Drei Chinesen mit dem Kontrabass ..., saßen auffer Straße und erzählten sich was ...“
Ein paar Leute drehten sich um und sahen zu ihrem Tisch. Spargel sah zurück. „Was sind das überhaupt für Leute hier? Was sind Sie eigentlich für Leute?“
„Olaf!“
„Da kam ein Polizist: ja was öss denn döss! Dröö Chönösen mit dem Köntröböss ...“
Der Freese witterte, kicherte und schüttelte mit sichtlichem Vergnügen den Kopf. Toll, wenn andere den Clown für einen machen. Silvia seufzte und verdrehte die Augen, Vera lächelte peinlich berührt und spürte die drückende Last eines betrunkenen Geliebten auf ihrem Gemüt. Olaf nahm dann endlich ein paar Bissen zu sich, spuckte aber die Morcheln aus. Es war an der Zeit, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, dachte der Freese. Schon alleine Vera zuliebe.
„Du hast doch noch alte Fotos von den Punk-Konzerten?“
„Ja klar habbich die.“ Spargel zündete sich eine Zigarette an und musste aufstoßen. „Entschuldigen Sie bitte. Aber die sind in einer Kiste, außerdem iss das mein Heiligtum.“
„Gut, ich möchte nämlich ...“ Es vergingen zehn Minuten, in denen der Freese ihm die Ohren volllaberte – womit, ist belanglos –, als der Spargel fragte: „Was willste eigentlich damit?“
„Womit?“
„Mit den Fotos.“
„Hab ich dir doch gerade groß und breit erklärt! Ich brauch Material für einen Artikel, ein paar Aufnahmen von den Bands und von den Leuten damals.“
„Jetz weiß ich aber immer noch nich, wofür.“
„Mann! Darüber darf ich nicht reden.“
Der Spargel rülpste laut. „Oh, Entschuldigung, das ist mir aber jetzt peinlich! Soll ich dir mal was sagen, Freese? Keiner kriegt mehr was von mir. Ich hab dem blöden Dietmar Reiter einen ganzen Packen alte Fotos gegeben. Die ersten Punks inner Stadt, die Skins, alle warense drauf. Dann hingense in der Ausstellung und wo die vorbei war, habbich die nich wiedergesehen. Weißt du, was die wert waren? Irgendson blödes Arschloch hat die sich einfach
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