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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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wenn er aus dem Zug stieg. Ein mickriger, grauer Bahnhof, der so anders war als die große Halle in München, wo Züge an den Gleisen standen, die in die Schweiz, nach Paris oder Rom fuhren, wo es Durchsagen auf Englisch gab, Japaner und Geschäftsleute mit ernsten Mienen und schicken Mänteln, Menschen, die etwas darstellten, die eine Aura hatten, und wo natürlich Vera wartete, das Ziel und der Zweck, die Frau, seine, ihre Liebe, das Einzige, wofür es sich zu leben lohnte, das sagte er sich immer wieder: das Einzichste! Und dann war es schön, so schön. Aber immer musste er zurück.
    Er ging die Treppe vom Bahnsteig hinunter und dann einen schmalen Gang mit gelben Kacheln entlang, immer dem Schild nach, auf dem stand: NORDSTADT. Die Reisetasche schnitt in seine Schulter, die gelben Kacheln sprangen ihn an. Nordstadt. Wie das schon klang! Da musste hin. Als hättense dich zum Tode verurteilt. Wenn er seine Wohnungstür aufschloss und alles so fand, wie er es verlassen hatte, beruhigte ihn das nicht mehr. Seine Hütte wirkte auf ihn wie abgestandenes Bier, war ihm egal geworden. Selbst das Regal mit den dreihundert Kassetten, der heilige Schrein, hatte den Zauber von einst verloren. Nur wenig fand noch Gnade vor seinem kritischen Ohr. Wenn sie mit Bruno Zeiner im Studio saßen und Rotwein tranken, hörten sie Jazz, manchmal auch klassische Musik. Dass er mal auf so was abfahren würde, hätte er nicht gedacht. Am liebsten hätte er nur noch John Coltraine und Bird, Beethoven und Mahler gehört, aber so etwas besaß er nicht. Diese Leere, nicht hier sein, aber auch nicht da, diese Sehnsucht.
    In den ersten Tagen machte er alles automatisch: Anrufe, Post durchsehen, Einkaufen, Wäsche waschen. Dann saß er in seinem Sessel, ehrlich darum bemüht sich wohlzufühlen. Manchmal redete er sich ein, dass es doch ganz gut kam, mal wieder allein zu sein, nur so richtig überzeugen konnte er sich selbst nicht. Und wenn die ersten Besucher aufkreuzten, dann kam er zwar auf andere Gedanken und erfuhr, was so los war, aber er merkte, dass ihn das eigentlich gar nicht mehr interessierte. Jeden Morgen wachte er mit einem Gefühl auf, das ihn im Laufe des Tages zu der Erkenntnis führte, dass alles, was ihn hier umgab, bedeutungslos geworden war. Das hatte übrigens nichts mit Verlust von etwas, was ihm einmal viel bedeutet hatte, zu tun, nein, was da an ihm nagte, war der Verzicht auf all das, was er jetzt gerne machen würde. Er fühlte sich dermaßen allein, dass es schon wehtat. Und dann fiel ihm Martina ein.
    Martina war eine Frau. Auch diese Tatsache konnte einem manchmal helfen. Sie stellte keine Fragen, obwohl er sich im letzten halben Jahr ganz schön rar gemacht hatte. Liebe verzeiht fast alles. An Liebe dachte Olaf seinerseits nicht, als er Martina gegenüberstand, aber es war wie an einen wärmeren Ort kommen und genau das brauchte er jetzt.
    Es gab Tage, da stimmte gar nichts mehr, da fühlte man sich nirgendwo wohl, da passte man zu niemandem und die Leute stellten Erwartungen an einen, die man nicht mehr gewillt war zu erfüllen. An einem solchen Tag sagte er in Martinas Wohnung zum Bert: „Ich geh sowieso bald nach München.“ Als er diesen Satz aussprach und Bert und Martina die Kinnladen runterfielen, da kam er sich zwar ungeheuer mutig vor, fragte sich aber, warum er das gesagt hatte. Jetzt war es raus, was er dauernd pflegte, hätschelte und mit sich rumtrug wie ein süßes Geheimnis, ein überreifes, das schon längst an die frische Luft gehörte. Einmal nicht feige sein, einmal diesem leeren Gerede etwas entgegensetzen, und dazu stehen, auch wenn das, was man aussprach, einen selbst überraschte. Da war er wieder – der Spargel, dachte schon, der wär verschütt gegangen. Er bekam einen kurzen Lachanfall.
    „Das meinst du doch nicht im Ernst, dass du wegziehen willst?“ Martina riss ostentativ ihre ohnehin großen, braunen Augen auf. Und der Bert, von dem die Miesepetrigkeit tropfte: „Wovon willste denn da leben? München ist ein teures Pflaster.“
    Olaf Keune fühlte sich leicht und unbeschwert. Plötzlich war alles klar. Das Arbeitsamt – die kontrollierende Instanz, auch nährende und mitunter anspruchsvolle Mutter – konnte sich gar nicht querstellen. Er hatte ja wohl das Recht auf einen Ortswechsel, das Recht, mit seiner Freundin zusammen zu sein, wo man psychisch so labil war (zumindest konnte er sich so verkaufen). Die Frage war, wie man in der nächsten Zeit sein monatliches Einkommen

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