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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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beleidigen? Die roten Alkgesichter, die trüben Augen, die Bierwampen, die Gewöhnlichkeit in den erwartungslosen Gesichtern der Frauen, mit ihrer verfilzten, kupferroten Einheits-Haarkrause, Krönung auf einer nichtssagenden Existenz, das Zuviel an Resignation, das klägliche Aufmüpfen gegen die Gegebenheiten. Hass. Und ihre rotznasigen Blagen, blass, kränklich, aber in ihrem Blick lag schon die gleiche Mischung wie bei den Alten: Misstrauen und Verachtung gegen andere, Feigheit und Frechheit. War das nicht die Realität?
    Der Drogeriemarkt hatte zu, heute war Sonntag. Er ging einfach weiter, ohne Ziel, bloß nicht zurück. Weitergehen, gegen etwas angehen. Wenn er anhielt, holte ihn die Realität ein, wenn er nach Hause ging, würde sie ihn bis rauf in seine Wohnung verfolgen, sich dort mit den Zweifeln vermischen und ihn fertigmachen. Er näherte sich einem riesigen Gelände mit alten Industriehallen, in ihrer Dekadenz schön und traurig, verlassen. Unkraut zwängte sich durch den schwarz bestaubten Boden hindurch. Vor kurzem hatten sie das erste Gebäude abgerissen und in null Komma nichts eine Fertighalle zusammengezimmert und da einen Wal-Mat eröffnet, und gleich dahinter waren sie schon wieder am Bauen, da setzten sie wohl noch so ein Riesending hin. Hauptsache billig. Sonntags früh war auf dem leeren Parkplatz Gebrauchtwagen-Markt. Da kamen Türken und Griechen hin in der Hoffnung, zu einem Spottpreis ein gutes Auto zu kriegen, auch Studenten, aber die wollten noch weniger ausgeben. Schließlich fanden sich noch solche mit Fuchsschwanz am Gürtel ein, drehten die Hifi-Anlagen in ihren Mantas auf und quatschten mit Gleichgesinnten über Autos, während die dazugehörigen stark geschminkten, dauergewellten Tussis auf ihren Stöckeln zitterten und eine nach der anderen rauchten.
    Über diesem Gelände zogen die Wolken schnell vorbei und wer weiß wohin, der Himmel saß tiefer als woanders, wirkte unendlich und hatte etwas von der Weite norddeutscher Küsten. Aber der Eindruck trog, und vielleicht war gerade das das Bedrückende an diesem Ort. Denn man wusste: dahinter waberte zwischen unzähligen Häuserblöcken versteckt die Ausweglosigkeit. Olaf betrachtete den riesigen, leeren Platz. Es war, als hätte er all die Menschen, die gestern hier noch einkauften und ihre vollen Tüten ins Auto luden oder Parkplätze suchten, als hätte er alles Leben verschluckt, hätte die Leute mit Billigangeboten hierher gelockt und sie dann einfach aufgesogen. Nur ein Geruch war übrig geblieben. Der Geruch der Armut, dachte Olaf. Er fand, dass sich bei manchen die Art zu leben schon durch ihren Geruch bemerkbar macht. Männer, die ihre Jackenärmel bis zum Ellenbogen hochkrempeln, Frauen in Jeansmini, Hausfrauen mit Perlonpullovern, Mittfünfziger mit zerfurchten Gesichtern und Kippen im Mundwinkel, die dauernd ausspucken, wenn sie ihrer Alten, die sie nicht mal mehr hassen, die Plastiktüten bis nach Hause tragen müssen. Pack weit und breit, dachte Spargel. Und wenn sie hier verschluckt werden, dann kommen morgen Neue wieder. Es nimmt kein Ende. Hier nicht. Niemals.
    Und alles andere, was nicht das hier war, waren das nur Träume? Er ballte die Fäuste in seinen Jackentaschen. Er biss die Zähne zusammen. Nein, nein, bitte nicht. Wenn man es sich richtig überlegte, waren es doch wirklich nur Träume, Spinnereien. Denn er, Olaf Keune, würde den Spargel nie loswerden, würde den Olli nicht loswerden, wäre immer der Arsch, der Benachteiligte, jemand, der nie das bekommt, was er sich wünschte.
    „Neiiin!“, schrie er. Trotzig stemmte er seine Beine in den Boden, als suchte er Halt gegen die Aussicht auf ein ereignisloses Leben. Da lag so viel brach, es würde viel zu tun geben, er würde endlich das tun, wozu er wirklich Lust hatte. Einmal zu den anderen gehören, etwas Neues anfangen, beweisen, dass man mehr konnte. Dafür wollte er kämpfen. Und für seine Liebe. Kämpfen. Ich will einmal in meinem Leben glücklich sein. Er schluckte schwer. Tränen rannen über seine Wangen, während er zurückging. War das denn zu viel verlangt? Er wischte sich mit der Innenfläche seiner rechten Hand den Rotz von der Nase.
     
    Ein Jahr nach dem Silvester, an dem die Schiffe gekommen waren und er Vera so hübsch fand, ging Olaf Keune aufs Postamt und gab folgendes Telegramm auf: Wohnung gekündigt, ankomme 31.1., 22.50h. In Liebe. O.K.
     
     
    Er wollte sich gut fühlen, als er den Seesack packte und sich sagte: Da ist alles drin,

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