Revolution - Erzählungen
ich bezahle damit die Mautstellen an der Umgehungsstraße. Ich taste nach meiner Tasche. Albert hat mir die Nummer des Hotels in New York gegeben, in dem er während der Konferenz wohnt. Ich rufe an. Werde zu seinem Zimmer durchgestellt. Keine Antwort. Ein Vorderrad sieht aus, als wäre es schief. Ich rufe meine Mutter an. Tränen stehen mir in den Augen. Das Telefon klingelt und klingelt.
»Ja«, meldet sich Mutter endlich.
»Mutter«, sage ich mit einer Stimme, die ich überhaupt nicht kenne.
»Ja? Was ist denn passiert?« Ihre Stimme erkenne ich auch nicht. Ich schaue auf den Wagen.
»Mutter, ich bin mit dem Wagen falsch …« Zwei Polizeifahrzeuge ohne Sirene und Blaulicht fahren auf die Bordsteinkante und halten auf der Grünfläche vor dem Telefonhäuschen. Ein schwarzer Polizist steigt aus, nimmt beide Arme hoch und legt sie auf das Wagendach – mit einer Pistole in den Händen.
»Bist du okay, Shakila?«, erkundigt sich Mutter, während ein weißer Polizist mit verspiegelter Sonnenbrille auf der Beifahrerseite des zweiten Polizeiwagens aussteigt. Sie tragen schwarze Uniformen und frisch gebügelte blaue Hemden, an ihren Ledergürteln hängen Geräte, die einen Menschen umbringen können.
»Runter auf die Erde!«, ruft der Schwarze. Ich bleibe stehen, ohne mich bewegen zu können; ich starre auf die Pistole, während der Weiße auf mich zukommt.
»Mutter«, spreche ich in den Hörer.
»Shakila!«, schreit Mutter.
»Legen Sie sich sofort auf den Boden, Madam. Sofort!«, brüllt der Schwarze noch einmal, und ich lasse den Hörer fallen und hebe die Arme; der Hörer baumelt an der Schnur und schlägt gegen meine Knie. Ich höre Mutter meinen Namen rufen, dünn und metallisch.
Der Weiße mit der verspiegelten Sonnenbrille ist jetzt bei mir, er greift nach meinem Arm, legt ihn mir auf den Rücken. Metall an meinem Handgelenk.
»Sie sind verhaftet wegen Fahrerflucht«, sagt er und zieht die andere Hand herunter. Handschellen. Es ist wie im Film. Er packt meinen Arm und führt mich zur hinteren Tür des Polizeiwagens. Öffnet die Tür mit seiner freien Hand. »Passen Sie auf den Kopf auf«, sagt er und hält die Hand über meinen Kopf, als ich einsteige. Ich sitze hinter einem Metallgitter – unbequem mit den Händen auf dem Rücken. Ich blicke auf den braunen Nacken des Fahrers, vielleicht Latino, vielleicht Asiate. Er trägt eine Mütze und dreht sich nicht um. Es ist Ernst. Ich zwinge mich selbst, nicht zu weinen – sie sollen es nicht sehen. Der schwarze Polizist steht vor seinem Auto und spricht in ein Funkgerät.
»Wir haben die Fahrerflüchtige in dem marineblauen Pontiac gefasst«, sagt er. Fahrerflüchtige. Mehr höre ich nicht, denn der weiße Polizist steigt ein und schlägt die Tür zu. Er wirft mir einen Blick zu, durch das Gitter sehe ich mein Gesicht zwei Mal in seinen Brillengläsern gespiegelt – dunkel und anonym. Dann schaut er nach vorn. Wir fahren. Ich drehe mich um und schaue auf mein Auto. Meine Sachen sind da drinnen, meine Handtasche mit dem Führerschein und den Papieren. Niemand sagt etwas. Ein paar Straßen weiter biegt der Wagen vor ein Polizeirevier. Ein Betonklotz, es könnte ein Lagergebäude sein. Der weiße Beamte zieht mich aus dem Auto, führt mich durch eine Tür, einen Gang entlang. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er die Sonnenbrille abgenommen hat. Eine merkwürdige Erleichterung stellt sich deshalb ein. Linoleum auf dem Boden, weiße Gipswände, Institutionsmobiliar – es erinnert an ein Krankenhaus, bloß heruntergekommener. Er öffnet die Tür zu einem kleinen Raum, in dem ein Tisch und drei Stühle stehen. Nichts an den Wänden. Nackter Betonfußboden. An der Decke eine Leuchtstoffröhre hinter einer Vergitterung. Der Beamte führt mich zu dem einzelnen Stuhl am Ende des Tisches. Der Tisch sieht aus wie die Tische, an denen ich in der Universität von Daressalaam saß, fast jedenfalls – aus einer Seite der Tischplatte ragt ein Metallbügel. Der Stuhl ist auf dem Betonboden festgebolzt. Der Tisch ebenfalls. Der Beamte schließt eine Seite der Handschellen auf.
»Setzen Sie sich, Madam«, sagt er. Ich setze mich. Er hält das leere Ende der Handschelle in der Hand, der andere Arm ist frei. »Geben Sie mir Ihren Arm«, fordert er mich auf, während er die Handschellen durch den Metallbügel in der Tischplatte führt und sie wieder an meinem Handgelenk verschließt. Ich schaue ihn an. Er ist nicht mehr jung. Schlank, frisch rasiert, graues,
Weitere Kostenlose Bücher