Revolution - Erzählungen
das Meer sehen.«
Er ist mswahili . Auf dem Berg würde man ihn mwarabu-coco nennen – halb Araber, halb Schwarzer. Der arabische Einschlag stammt vom Vater, der eine schwarze Frau gepumpt hat. Die Familie wohnt in einem Dorf nah bei Doda an der Küste, nördlich von Tanga. Der Vater arbeitet als Taxifahrer.
Ich habe das Meer noch nie gesehen – nur aus weiter Entfernung einen See, als ich von zu Hause loszog, um in Zaire reich zu werden. Auf dem Berg hat meine Familie zu wenig Land, um wie Menschen zu leben. Auf der Ladepritsche eines Lastwagens bin ich von Rongai rund um den Kilimandscharo auf die Ostseite gefahren. Ich konnte das ganze Land unter mir sehen, den Lake Jipe an der Grenze zu Kenia und südlich davon das Wasserreservoir Nyumba ya Mungu.
»Wir können nach Mombasa fahren«, fährt Shirazi fort. » Wahuuu – die besten Discotheken mit scharfen Mädchen aus Kenia.«
»Du bist doch noch nie in Mombasa gewesen«, sage ich.
» Tsk . Aber ich hab davon gehört.« Shirazi spuckt aus.
Vor fünf Jahren hat er davon gehört, bevor er hierherkam. Vielleicht ist seine ganze Familie inzwischen tot und das Dorf von einem großen Unwetter ins Meer gespült. Vielleicht ist der Rest der Welt verschwunden, und Zaire ist alles, was es noch gibt – der Traum vom blauen Stein.
Ich kenne Shirazi seit fünf Jahren. Als er nach Zaire kam, wurde er meiner Mine zugeteilt; er hatte große Angst, obwohl er stark ist. Vorsichtig kam er zu mir in den Stollen. »Entschuldige, wo ist Norden?«, hat er mich gefragt. Ich verstand ihn nicht. »Ich muss wissen, wo Mekka ist, damit ich beten kann. Es ist Freitag.« Ich zeigte in irgendeine Richtung und ließ ihn mit dem Arsch beten. Jeden Freitag fragte er, und ich hab’s ihm gezeigt. Wir wurden Freunde. Jetzt versuche ich, ihm die richtige Richtung zu zeigen.
Fillemon ist still. Er glaubt nicht an Träume von Mombasa. Er ist bereits ebenso lange hier wie ich. Seit unserer Kindheit im Dorf bei Rongai sind wir befreundet. Unsere Mütter schleppten uns in dieselbe Kirche, wir sind zusammen zur Schule gegangen. Ja, wir können lesen. Aber was sollen wir in Zaire lesen? Unter der Erde gibt’s keine Bücher. Nicht einmal einen Grabstein können wir lesen, denn die Toten wohnen unter dem Abraum; sie brauchen keine Worte mehr.
Ein Motorrad kommt. Es ist Jackson. Er trägt Sonnenbrille, obwohl es fast dunkel ist, aber er will uns seinen Reichtum zeigen, während wir in Lumpen zu ihm kommen, um ihm ein bisschen was zu verkaufen.
»Habt ihr was?«, will er wissen. Shirazi zeigt ihm den kleinen Stein, den er seit Tagen im Mund herumträgt.
»Hast du bhangi ?«, frage ich. Jackson bleibt auf seinem Motorrad sitzen. T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Saubere Sachen – nur ein bisschen schmutzig vom Straßenstaub. Er beugt sich vor, hebt die Sonnenbrille und sieht sich den Stein in Shirazis Hand an.
»Ist aber sehr klein«, sagt er. »Ich gebe euch drei Joints dafür.«
» Tsk «, schnalze ich. Jackson ist auch Minenarbeiter gewesen, bis vor einem Jahr. Doch dann stießen sie in seiner Mine auf eine hübsche Ader, und er konnte sich das Motorrad leisten. Jetzt ist er Zwischenhändler. Einmal habe ich ihn davor gerettet, von sechs Schlangen gepumpt zu werden, die ihn auf den Boden eines Mineneingangs gestoßen hatten. Jetzt folgt Jackson nur noch einem Gesetz: dem Wert des Geldes.
So etwas passiert vielen Arbeitern nach einigen Jahren. Sie erzielen einen kleinen Gewinn und fliehen vor dem Loch – sie spüren, dass die Dunkelheit wie ein böser Geist für ihren Körper ist und sie allmählich sämtliche Hoffnung fahren lassen. Einige werden Wachmänner der Minenbesitzer, Handlanger, Fahrer: fester Lohn, besseres Essen. Andere werden Zwischenhändler, pendeln zwischen Zaire und Mererani Township, kaufen die paar Steine, die wir verdienen oder stehlen, und verkaufen sie an Aufkäufer. Es reicht, um zu leben, aber es ist nicht genug für ein Haus. Mich reizt es schon, denn die Zwischenhändler leben im Licht und an der Luft, sie schlafen in einem Bett, essen Mahlzeiten mit Fleisch, sie husten nicht, sie können sich Motorräder leisten, den Wind spüren, nach Moshi oder Arusha fahren, um zu feiern. Sie können mit einer Frau zusammen sein und die einschließende Dunkelheit vergessen. Andererseits will ich den Traum vom großen Leben nicht aufgeben.
Jackson hält drei Joints mit bhangi in der Hand, Shirazi will ihm den Stein geben.
»Drei Joints sind nicht genug«, sage ich. Jackson dreht mir
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