Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
mal raus. Es scheint ihm alles völlig egal zu sein. Als hätte ihm jemand das Herz amputiert. Er macht auf, lässt mich ohne ein Wort rein, sitzt dann reglos in seinem Sessel am Fenster und gibt keinen Mucks von sich. Ich hab’s mit allem versucht, Herrgott, ich hab ihm sogar Kuchen und Bier mitgebracht. Er stellt sich tot, er sieht mich nicht mal an.«
»Das klingt wirklich seltsam«, sage ich, »der hat doch immer die Puppen tanzen lassen, sogar im Knast. Erinnern Sie sich noch daran, wie er die Wärter bestochen hat und eine Legion Nutten reinschmuggeln ließ?«
»Oh ja«, sagt der Faller, »das war ganz großer Sport. Und jetzt ist er nur noch eine leere Hülle.«
»Hat er vielleicht einfach nur eine Depression?«, frage ich. »Das kann doch sein, wenn man eine wilde Karriere hinter sich hat.«
»Ich hab mit seinem Arzt gesprochen«, sagt der Faller. »Bis letzte Woche ging’s ihm blendend.«
»Mir auch«, sage ich.
»Sehen Sie«, sagt der Faller, »und genau das meine ich.«
»Was?«
»Sein Arzt sagt, er hätte ihn Dienstag noch gesehen, und sie hätten Späße gemacht. Donnerstag war ich zum ersten Mal bei ihm und habe ein Wrack vorgefunden. Und was ist zwischen diesen beiden Tagen passiert?«
»Ein Frauenmord«, sage ich.
»Bingo«, sagt der Faller. »Es wurde ein Mädchen umgebracht, das auf dem Kiez getanzt hat und angeblich in Hamburg niemanden außer ihrer Mitbewohnerin hatte.«
»Und vielleicht gab’s da aber doch jemanden«, sage ich.
Der Faller nickt.
»Immerhin haben wir bei Margarete Sinkewicz seine Telefonnummer gefunden. Sie wird am Donnerstag beerdigt«, sagt er, »wir wollen doch mal sehen, wer am Grab steht und weint.«
»Späte Liebe?«, frage ich.
Der Faller zuckt mit den Schultern und sagt: »Soll ja vorkommen, oder?«
Wenn ich mich nicht irre, sieht er mich spöttisch an. Was soll das denn jetzt? Ich hatte eigentlich vorgehabt, ihm von Klatsche zu erzählen, aber das werde ich dann wohl doch nicht tun. Ich habe das Gefühl, dass er es eh schon weiß, und dann wirkt das irgendwie peinlich.
Wir gehen zurück zum Präsidium. Ich mache noch einen Abstecher zu den Phantombildspezialisten, um für die Kollegen ein Foto von John konstruieren zu lassen. Und dann fahren der Brückner und ich mal schön nach Sankt Pauli.
Der Brückner parkt den Wagen an der Davidwache, und wir steigen aus. Die Reeperbahn ist so, wie sie an einem windigen Nachmittag im März zu sein hat: leergefegt. Kaum Touristen, nur hin und wieder treiben sich ein paar schmuddelige ältere Herren vor einem Sexshop rum und trauen sich nicht richtig rein, links von uns trägt eine Band ihre Instrumente in den Club, in dem sie heute Abend wohl auftreten wird, rechts vor uns stehen zwei alte Kiezmädchen, sie haben abgetragene Pumps an und jede einen schmucken Hackenporsche bei sich. Man erkennt sie daran, dass sie ihre grauen Haare nicht praktisch kurz tragen, sondern immer noch lang und pompös aufgetürmt. Sie halten einen Schnack, vermutlich schon seit Stunden, und in ihren Augen kann man sehen, dass sie von früher sprechen. Sie sind mindestens achtzig.
Es ist halb drei, und die Dämmerung ist noch weit, aber hier liegt sie auf eine besondere Art zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Straße herum. Ich glaube, die Reeperbahn leuchtet von unten. Sie macht sich ihr Licht selbst, und das seit Jahrhunderten. Klatsche steht auf der anderen Seite der Straße vor der Sparkasse und grinst zu mir rüber.
»Da drüben steht unser Mann«, sage ich zum Brückner.
»Warum brauchen wir den denn als Unterstützung?«, fragt er. »Können wir das nicht alleine?« Er ist maulig.
»Kann doch nicht schaden«, sage ich und hoffe inständig, dass er nicht merkt, wer hier vor allem wen als Unterstützung braucht.
Wir überqueren die Straße.
Klatsche trägt wie immer seine Lederjacke, und als wir näher kommen, steckt er die Hände in die Hosentaschen. Die Jungs machen keine Anstalten, sich ordnungsgemäß die Hand zu geben.
»Tach«, sagt der Brückner.
»Moin«, sagt Klatsche.
»Brückner«, sage ich, »das ist mein Nachbar Klatsche. Klatsche, das ist der Kollege Brückner.«
Die beiden nicken sich zu, sonst passiert nichts. Ist doch immer wieder schön, Männer bei ihren Verhaltensweisen zu beobachten. Vielleicht kann der Brückner riechen, dass er hier einen ehemaligen Chef-Einbrecher vor sich hat, und vielleicht kann Klatsche immer noch keine Bullen riechen, außer dem Faller und mir natürlich.
Ich sollte Klatsche
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