Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
hat natürlich längst begriffen, dass wir Bullen oder so was sind. Aber anscheinend vertraut sie darauf, dass Klatsche keinen Ärger mitbringt. Er steht immer noch dicht bei ihr.
»Weißt du, wo Heiner Matzen ist?«, fragt er.
»Zigarette, bitte«, sagt Julchen und hebt ihre rechte Hand in die Luft.
Klatsche holt eine Zigarette aus seiner Jacke, zündet sie an und steckt sie Julchen zwischen die Finger.
Die Frau hat was von einem äußerst merkwürdigen, zu heiß gewaschenen Mafiapaten. Sie zieht genüsslich an ihrer Kippe und raucht sie in drei Zügen auf. Und dann schmeißt sie eine Frage in die Runde:
»Weiß hier irgendwer, wo Heiner Matzen steckt?«
Wie auf Kommando erheben sich alle, als hätte sie einen unmissverständlichen Befehl erteilt.
»Yo, nee, also ich muss dann mal«, sagt einer.
»Ja, ich auch, is’ schon spät, Muddi wartet«, sagt ein anderer.
»Tschüs denn, Julchen, ich mach mich vom Acker«, sagt ein Dritter.
Und so geht das, ein lustiges kleines Konzert aus Ich-will-nichts-damit-zu-tun-haben-Melodien, bis innerhalb einer Minute alle außer Julchen, dem Barmädchen und uns verschwunden sind.
Julchen wirft dem Mädchen einen Blick zu und schnickt mit dem Kopf, und das Mädchen verzieht sich ins Hinterzimmer.
»Setzt euch«, sagt sie und zeigt auf die leeren Sessel.
»Danke« sage ich, und sie verzieht ihre kleinen roten Lippen zu einem schnellen Lächeln, das eine Sekunde später verschwunden ist.
»Danke«, sagt der Brückner, aber sie hat schon wieder aufgehört, uns zu beachten.
Klatsche hat sich einen Sessel zu ihr ans Sofa gezogen, er hält wie selbstverständlich ihre Hand, und sie lässt es zu.
»Heiner Matzen, hm?«, piepst sie.
Klatsche nickt.
»Was wollt ihr von dem Jungen?«
»Wir wollen nur mit ihm reden«, sagt er. »Ihm wird nichts passieren.«
»Wegen dem Basso, hm?«
»Genau«, sagt Klatsche. »Das war nicht schön, was sie mit ihm gemacht haben.«
»Nee«, sagt sie, »das war gar nich’ schön.«
»Weißt du irgendwas?«
»Ich hab nur gehört«, sagt sie und nickt bedeutungsvoll, »ich hab nur gehört, dass sie ihn eigentlich auf eine kleine Hafenrundfahrt mitnehmen sollten. Und dann ist dummerweise eine große draus geworden.«
Der Brückner sieht mich verwirrt an.
»Von der großen Hafenrundfahrt kommt man nicht zurück«, flüstere ich.
»Ah«, sagt er, »ach so.«
»Weißt du was über die Hafenrundfahrt vom Basso?«, fragt Klatsche. »Wer sie bestellt hat, vielleicht?«
»Gott bewahre«, piept sie, »Gott bewahre. Und ich hab auch keine Ahnung, wo Heiner steckt«, sagt Julchen, »aber ich an eurer Stelle würde mal bei Ali in der Blauen Nacht nachsehen.«
Bingo, denke ich.
»Danke, Julchen«, sagt Klatsche.
»Seid lieb zu Heiner«, flüstert sie, »der Daumenlutscher stirbt gerade vor Angst.«
»Keine Sorge«, sagt Klatsche.
Wir stellen unser Bier an der Bar ab, Klatsche streicht Julchen noch mal übers Haar, und dann gehen wir die Treppen runter und sind wieder auf der Großen Freiheit.
»Wer war das denn gerade?«, fragt der Brückner und grinst.
»Das«, sagt Klatsche, »war der Chef von das Ganze.«
»Ich dachte, der Chef von das Ganze ist Albaner«, sagt der Brückner.
»Ach, der«, sagt Klatsche. »Dem gehören vielleicht die Geschäfte, aber unserer Jule hier, der gehören die Leute. Sie ist der unangefochtene Boss über unser aller Seelenheil. Wer in ihrer Gnade steht, hat nichts zu befürchten.«
»Wie kommt’s?«, frage ich.
»War schon immer so«, sagt er, »sie sitzt da oben, und wer was braucht, kommt zu ihr. Leider ist’s damit bald vorbei.«
»Was ist mit ihr?«, frage ich.
»Geht sie in Rente?«, fragt der Brückner.
»So ähnlich«, sagt Klatsche. »Sie ist krank. Wenn sie Glück hat, erlebt sie den Sommer noch.«
»Herrje«, sagt der Brückner, »das ist ja furchtbar.«
So wie er aussieht, trifft ihn das wirklich.
»Hey«, sage ich und knuffe den Brückner in die Seite, »Julchen kommt in den Himmel.«
Wir schauen alle drei nach oben, als würden wir die Lage checken, als würden wir nachsehen, ob sie da auch gut aufgehoben sein wird. Die Wolken am Himmel haben ein bisschen aufgerissen und lassen das Blau durchblicken. Wird schon werden.
Dann machen wir uns auf die Suche nach dem armen Heiner Matzen.
Die Blaue Nacht ist nicht viel mehr als eine schmutzige kleine Ecke. Sie liegt oberhalb vom Hans-Albers-Platz über einem Loungemusic-Club, der in den Neunzigern ganz groß war, aber heute geht da keiner
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