Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
vielleicht einen Kuss geben, aber ich traue mich nicht. Wegen ihm und wegen uns und wegen dem Brückner. Er kapiert das sofort und fasst mir zart an den Ellenbogen.
»Hallo, Frau Staatsanwältin«, sagt er und wirft mir ein Zwinkern zu.
»Hey«, sage ich, und ich versuche, es betont sachlich zu halten, »danke, dass du Zeit hast.«
»Wer schneller arbeitet, kann früher los«, sagt er.
»Was arbeiten Sie?«, fragt der Brückner.
Ah, erste Annäherung.
»Ich knacke Schlösser für Geld«, sagt Klatsche.
»Er ist der Beste auf seinem Gebiet«, sage ich.
»Mhm«, macht der Brückner.
»Und er weiß, wer auf dem Kiez wirklich wichtig ist«, sage ich.
»Okay«, sagt der Brückner, »wo fangen wir an?«
»Nach wem suchen wir denn?«, fragt Klatsche.
»Nach einem Freund vom Basso«, sage ich, »soll ein kleiner Boxer sein, der untergetaucht ist.«
»Name?«, fragt Klatsche.
»Heiner Matzen«, sagt der Brückner.
»Dann mal los«, sagt Klatsche und läuft die Reeperbahn runter.
»Wohin ungefähr?«, frage ich.
»Zur Sonne, zur Freiheit«, sagt Klatsche.
Der Brückner sieht mich verständnislos an.
»Große Freiheit«, sage ich.
»Da ist doch auch das Acapulco «, sagt der Brückner.
»Da ist alles«, sage ich.
Nach hundert Metern Eros-Laufhaus, Dessousläden und Endlosketten von kleinen Fastfoodboxen biegen wir rechts in die Freiheit ab. Klatsche bleibt auf halber Höhe der Freiheit stehen, zwischen zwei Läden, in denen man jeden Abend Live-Sex bewundern kann, und klingelt an einer schmalen Tür. Über der Tür prangt ein Schild, das Thai-Girls anbietet, aber das gehört zu dem Laden links.
Aus der Sprechanlage kommt eine Frauenstimme.
»Ja, bitte?«
»Julchen, hier ist Klatsche.«
Es summt, und die Tür geht auf.
»Los«, sagt Klatsche, »die Treppen hoch.«
Wir folgen ihm durch das enge Treppenhaus in den dritten Stock. Die Wände sind mit dem gleichen roten Teppich ausgeschlagen wie die Treppen, man läuft so weich wie in Omas guter Stube.
»Kuschelig hier«, sage ich.
»Guter alter Kieztreffpunkt«, sagt Klatsche und grinst.
Am Fenster steht ein winziges Sofa. Die Frau auf dem Sofa muss das Julchen sein, das uns gerade aufgemacht hat, auch wenn sie nicht nach einem Julchen aussieht. Sie ist vielleicht eins fünfzig groß und wiegt bestimmt zwei Zentner. Ihr feines Haar ist platinblond gefärbt, sie trägt eine verfallene Monroe-Frisur. Ihr rosa Fifties-Kleid will nicht so recht zu den braunen Puschen passen, in denen ihre Füße stecken. In der Luft steht Zigarettenrauch und wabert wie eine Scheibe durch den Raum. Fenster aufmachen scheint streng verboten zu sein. Auf den bunt zusammengewürfelten Sesseln sitzen alte, mittelalte und junge Männer, sie sehen müde aus, und sie starren in die Biergläser, die sie in den Händen halten. Hinter der ranzigen Bar steht ein junges Ding, sie ist vielleicht sechzehn.
Während der Brückner und ich hölzern auf der Schwelle rumlungern, geht Klatsche zu der kleinen Dickmadam auf dem Sofa. Er beugt sich zu ihr runter und küsst sie auf die Stirn.
»Na, Julchen«, sagt er, »wie geht’s dir heute?«
»Mir tun die Füße weh«, sagt sie. Ihre Stimme klingt wie eine Glocke, sie klingt sehr viel jünger, als die Frau aussieht, als wäre die Stimme mal ausgewechselt worden, so wie man das bei alten Autos schon mal mit den Motoren macht.
Klatsche streicht ihr über die Wange, und das sieht unglaublich liebevoll aus. Er wirkt dabei wie ein Engel, und sie wirkt wie jemand, der einen Engel zu schätzen weiß.
»Wen hast du da mitgebracht?«, piepst sie und wirft uns einen Blick zu.
»Die sind in Ordnung«, sagt er, »Freunde von mir.«
»Hallo«, sagen wir, und ich werfe dem Brückner einen triumphierenden Blick zu.
Siehste. Ohne Klatsche wären wir hier nie reingekommen. Ohne Klatsche wüssten wir nicht mal, dass es diesen Ort gibt. Der Brückner grinst mich an und ist an Bord.
»Wollen deine Freunde was trinken?« Piep.
»Wollt ihr was trinken?«, fragt Klatsche.
»Ein Wasser wäre toll«, sagt der Brückner.
»Hier gibt’s nur Bier«, sagt Klatsche.
»Ich nehm auch Leitungswasser«, sagt der Brückner.
Julchen sieht zu dem jungen Mädchen hinter der Bar rüber und sagt: »Drei Bier für die Bagage.«
»Äh«, sagt der Brückner, und dann, als er das Bier in der Hand hat: »Danke.«
Wir nippen ein bisschen an unserem Bier und stehen weiter im Türrahmen rum wie Falschgeld und halten die Klappe.
»Warum seid ihr hier?«, fragt Julchen. Sie
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