Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
da, oder?«, fragt sie.
»Ja«, sagt der Lechner.
»Ich wusste, dass Sie das sind«, sagt sie und lächelt. »Aber ich hätte nie gedacht, dass dieser Typ eben, dass der, Mann, der war so nett, ich hab’s echt nicht geschnallt, ich hatte ja eher auf diesen schmierigen Osteuropäer aus der ersten Reihe getippt.«
Lassen wir das mal nicht den Pliquett hören.
»Sehen Sie«, sagt der Lechner, »so kann man sich täuschen.«
Er verabschiedet sich, und zehn Minuten später wird die Tänzerin von einer mütterlichen Kollegin von der Sitte abgeholt, die ist daran gewöhnt, sich um diese hübschen Wesen aus dem Nachtleben zu kümmern und wird das gut machen.
»Wir sollten uns den Schrank da hinten in der Ecke mal anschauen«, sage ich zum Calabretta.
»Ja«, sagt er, »jetzt, wo alle Beteiligten weg sind, sollten wir das machen. Denken Sie, was ich denke?«
Ich nicke.
Wir gehen zu dem schmalen Ding rüber. Der Calabretta versucht, ihn aufzumachen. Er ist abgeschlossen.
»Klatsche«, sage ich, »kannst du mal eben?«
Klatsche erhebt sich vom Sofa, er sieht verknittert aus und sehr müde. Er kommt auf uns zu, holt seinen Dietrich aus der Jackentasche und setzt ihn an.
»Sind wir so weit?«, fragt er.
Der Calabretta und ich nicken. Ich halte mich unauffällig an meinem Kollegen fest, ich lehne mich nur ein klein wenig an ihn, das merkt der sicher nicht. Es klickt, und Klatsche tritt ein Stück zur Seite. Der Calabretta macht die Schranktüren auf. Ich muss würgen und lege mir die Hand vor den Mund. Uns schlägt ein mächtiger Gestank entgegen, süß und traurig.
Im oberen Fach des Schranks liegen im exakten Abstand zueinander vier Teppichmesser. Drei davon sind blutverkrustet. Das vierte glänzt und wirkt völlig unbenutzt. Rechts davon liegt eine grüne Kurzhaarperücke. Im unteren Fach liegen fein säuberlich gefaltet drei Jeans, drei Pullover, drei Jacken, dreimal Unterwäsche, drei Paar Schuhe. Im Boden des Schranks kauert eine zerknüllte Plastikfolie, blutverschmiert.
Und im mittleren Fach, an der Rückwand des Schranks, zwischen dem oberen und dem unteren Fachboden, klebt ein Bild. Es ist das Porträt einer Frau. Sie ist so Mitte dreißig. Sie ist sehr hübsch, ihr dichtes dunkles Haar fällt weich um ihre feinen Züge, und sie lächelt zärtlich in die Kamera. Auf dem Bild, dort, wo die Haare der Frau sitzen, sind drei brünette Skalps festgetackert, und so ist das Bild fast eine Art Skulptur, ein herzzerreißender Altar einer kranken Seele, mit grausigen Devotionalien.
»Madonna«, sagt der Calabretta, »heilige Scheiße.«
Ich kippe um und hoffe, dass Klatsche mich auffängt.
Mittwoch:
In den Kesseln fault das Wasser
Chastity
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, eine andere zu sein. Ein unbekümmertes, fröhliches Kind. Ohne diese verfluchten Fesseln überall. Stellen wir uns mal vor, ich wäre nicht gefesselt, an Händen, an Füßen, am Herzen. Stellen wir uns vor, ich wäre frei. Ich könnte ohne diese ewigen Ängste leben, die mir die Luft abdrücken und mich behindern. Ich wäre jemand, der sich bewegen kann. Ich könnte rennen und lachen. Ich hätte die Chance, das Leben zu fassen und zu begreifen als das, was es ist, mein Leben, und das hätte Leichtigkeit und Schönheit, es wäre einfach nur da, es wäre keine Bedrohung. Ich wäre nicht so stur und starr und kantig, ich könnte die Dinge auch mal geschehen lassen und müsste nicht immerzu alles wegstoßen, was mir zu nahe kommt. Ich könnte mein kontrolliertes Ich auslachen, ich könnte mich hingeben, dem Leben, der Liebe.
Ich könnte.
Faller
Der Tag, an dem ich Abschied nehmen muss, ist nicht mehr fern. Es kann jederzeit passieren, dass es nicht mehr funktioniert, und dann werde ich sagen: Ich gehe. Es ist keine Frage der Entscheidung, es wird einfach irgendwann so weit sein. Dann nehme ich meinen Hut und werde in der Hoffnung gehen, dass sie klarkommt. Es war schon mal fast so weit. Ich hab ernsthaft drüber nachgedacht, damals. Schluss machen, dachte ich, hör auf, alter Mann, mach Frieden. Aber sie sagte: Geh nicht, wenn du am Boden bist. Nicht so. Geh erhobenen Hauptes. Ich schütze dich, wenn es dir schlecht geht. Ich helfe dir. Keiner wird es merken. Ich bin bei dir, so wie du bei mir bist. Erhobenen Hauptes, sagte sie. Ach. Ich geb mir Mühe.
Calabretta
Meine Mutter ist nicht krank. Sie hat nichts. Nichts, außer Sehnsucht. Sie sagt es nicht, aber ich weiß, dass sie ein Kind von mir will. Sie will, dass ich eins zeuge,
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