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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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dergleichen. Wahrscheinlich werden wir ins Wasser springen, ohne dass es zu irgendeiner biochemischen Interaktion kommt. In diesem Fall spielt es keine Rolle. Wir brauchen niemandem davon zu erzählen. Und wenn wir doch etwas erfahren, aber etwas, das nicht wichtig ist – nun, auch davon braucht niemand zu erfahren. Nur wenn es ein großer Coup wird. Eine so tolle Sache, dass man den kleinen Protokollverstoß einfach übersehen muss.«
    »Den kleinen Protokoll …?«, begann Naqi, dann musste sie lachen. Minas Dreistigkeit war unglaublich.
    »Es geht doch darum, Schwesterherz, dass wir eigentlich nur gewinnen können. Und man serviert uns die Chance dazu auch noch auf dem Silbertablett.«
    »Man könnte auch sagen, man serviert uns eine erstklassige Chance, uns ganz spektakulär zu blamieren.«
    »Das kannst du deuten, wie du willst. Ich weiß, was ich sehe.«
    »Es ist zu gefährlich, Mina. Es sind schon Menschen gestorben …« Naqi betrachtete nachdenklich Minas Pilzflechte, deren Muster durch die Tätowierungen noch betont wurden. »Du hast einen hohen Konformalitätsindex. Macht dir das nicht ein wenig Sorgen?«
    »Konformalität ist ein Märchen, mit dem man unartige Kinder erschreckt«, sagte Mina. ›»Iss dein Gemüse auf, oder du wirst für immer vom Meer verschlungene Ich nehme das etwa so ernst wie die Geschichte vom Kraken von Thule oder vom Untergang von Arviat.«
    »Der Kraken von Thule ist ein Scherz, und Arviat hat es nie gegeben. Aber als ich mich das letzte Mal erkundigt habe, war Konformalität noch ein anerkanntes Phänomen.«
    »Es ist ein anerkanntes Forschungsthema. Das ist ein Unterschied.«
    »Das sind Haarspaltereien …«, begann Naqi.
    Aber Mina hatte sie offenbar gar nicht gehört. Ihre Stimme klang so geistesabwesend, als spräche sie mit sich selbst. Ein rhythmischer Singsang. »Für lange Überlegungen ist keine Zeit mehr. Aber bald wird es Tag. Und ich glaube, es wird auch dann noch da sein.«
    Sie drängte sich an Naqi vorbei.
    »Wo willst du jetzt hin?«
    »Noch etwas schlafen. Dafür muss ich frisch sein. Du übrigens auch.«
    Es klatschte zweimal hintereinander enttäuschend leise, dann schwammen sie in der Lagune. Naqi tauchte kurz unter und hielt den Atem an. Als sie wieder an die Oberfläche kam, musste sie sich zum Luftholen zwingen: unmittelbar über dem Wasser war die Atmosphäre derart mit Mikroorganismen gesättigt, dass man durchaus daran ersticken konnte. Mina tauchte neben ihr auf und sog die Luft in so tiefen Zügen ein, als könne sie es gar nicht erwarten, dass die winzigen Kreaturen ihre Lungen besetzten. Die Kälte entlockte ihr einen Aufschrei des Entzückens. Dann hatten sie beide das Gleichgewicht gefunden, blieben mit den Schultern über Wasser und traten mit den Beinen auf der Stelle. Naqi konnte sich umsehen. Tränen brannten ihr in den Augen, sie sah alles wie durch einen Schleier. Über ihnen schwebten der riesige Vakuumtank und darunter die Gondel. Das Rettungsfloß, das das Luftschiff zu Wasser gelassen hatte, war nagelneu und konnte Bioattacken mittlerer Stärke hundert Stunden lang standhalten. Aber das galt für das offene Meer, wo die Dichte von Schieberorganismen sehr viel geringer war als mitten in einem größeren Knoten. Hier hielt der Rumpf vielleicht nur dreißig Stunden, bevor er zerfressen wurde.
    Nicht zum ersten Mal erwog Naqi, das Unternehmen abzubrechen. Noch war Zeit. Bisher war kein größerer Schaden entstanden. In einer Minute konnte sie auf dem Boot sein und sich zum Luftschiff zurückbringen lassen. Mina würde vielleicht nicht mitkommen, aber sie brauchte sich von ihrer Schwester ja nicht zur Komplizin machen zu lassen. Doch Naqi wusste genau, dass es kein Zurück mehr gab. Wie könnte sie Schwäche zeigen, nachdem sie so weit mitgegangen war?
    »Es passiert nichts …«, sagte sie.
    »Wir sind erst seit einer Minute im Wasser«, gab Mina zurück.
    Die beiden trugen schwarze Taucheranzüge. Die Anzüge wären notfalls auch allein schwimmfähig gewesen – auf eine bestimmte Serie von taktilen Befehlen füllten sich im Brust- und Schulterbereich Dutzende von winzigen Blasen mit Luft –, aber Wassertreten war nicht weiter schwer. Und wenn die Schieber Kontakt aufnähmen, würden sie ihnen die Anzüge wahrscheinlich binnen weniger Minuten vom Leib fressen. Die Schwimmer, die solche Verbindungen häufiger pflegten, schwammen nackt oder beinahe nackt, aber weder Naqi noch Mina waren bereit, sich dem Ozean schon jetzt so bedingungslos

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