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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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frühen Nachmittag, die Sonne sank dem Horizont entgegen, der letzte rötliche Schein sickerte durch die fransigen Risse in der Wolkendecke. Naqi und Mina studierten stundenlang die eingehenden Ergebnisse. Die Schirme in der Gondel zeigten immer schärfere Bilder des Knotens. Die beiden Schwestern diskutierten die Befunde in freundschaftlichem Ton, aber Naqi kam von Minas Verrat nicht los. Aus purer Gehässigkeit, nur um zu sehen, wie weit ihre Schwester zu lügen bereit war, lenkte sie das Gespräch immer wieder auf Dr. Sivaraksa und sein Projekt.
    »Hoffentlich werde ich nicht eines Tages einer von diesen vertrockneten Bürokraten«, sagte sie etwa, als sie sich ausmalten, wie ihre berufliche Laufbahn sich gestalten würde. »Du weißt schon, wie Sivaraksa.« Dabei beobachtete sie Mina scharf, ohne dass diese es merkte. »Ich habe einige von seinen alten Aufsätzen gelesen; er war einmal ziemlich gut. Und nun sieh ihn dir heute an.«
    »So etwas sagt sich leicht«, meinte Mina. »Ich wette, er ist auch nicht glücklich darüber, nicht mehr an vorderster Front zu stehen. Aber jemand muss diese großen Projekte eben leiten, und da ist mir ein Mann, der zumindest einmal Wissenschaftler war, immer noch lieber.«
    »Das klingt ja so, als wolltest du ihn verteidigen. Als Nächstes wirst du mir erklären, die Seemauer wäre eine gute Idee.«
    »Ich will Sivaraksa nicht verteidigen«, sagte Mina. »Ich meine nur …« Sie sah ihre Schwester mit jähem Misstrauen an. Hatte sie erraten, dass Naqi Bescheid wusste? »Schon gut. Sivaraksa kann sich selbst seiner Haut wehren. Wir sollten uns lieber um unsere Arbeit kümmern.«
    »Man könnte meinen, du wolltest das Thema wechseln«, sagte Naqi. Aber Mina war bereits dabei, die Gondel zu verlassen, um noch einmal die Ausrüstung zu kontrollieren.
    Gegen Abend hatte das Luftschiff die Grenze des Knotens erreicht, drehte eine Runde und machte sich wieder auf den Weg nach innen. Wo es Bereiche überflog, die bereits vermessen waren, wurden auf den Displays zeitabhängige Veränderungen mit roten Bögen und Streifen unterlegt, die sich von den limonen- und türkisgrünen Falschfarben der eingezeichneten Strukturen deutlich abhoben. Die Veränderungen waren meist geringfügig: ein Raum, der sich geöffnet oder geschlossen hatte, oder eine kleine Bewegung in der Netzwerktopologie, die eine Engstelle zwischen den unförmigen Unterknoten im Umkreis der schwimmenden Insel beseitigte. Einige waren eher rätselhafter Natur, stimmten aber mit anderen Studien überein. Sie wurden mit erhöhter Auflösung untersucht, und die gewonnenen Daten wurden hierarchisch geordnet und protokolliert.
    Alles wies darauf hin, dass es sich um einen großen, aber in keiner Weise ungewöhnlichen Knoten handelte.
    Wie üblich in diesen Breiten brach die Nacht sehr schnell herein. Mina und Naqi wechselten sich ab, die eine schlief zwei oder drei Stunden, während die andere die Anzeigen überwachte. Während einer Pause stieg Naqi auf das Luftschiff, um noch einmal zu probieren, ob die Antenne funktionierte. Erfreut sah sie, dass eine neue Nachricht angekommen war. Doch die Freude währte nur kurz, denn es handelte sich lediglich um eine Mitteilung des Schneeflockenrates, die Nachrichtensperre für den zivilen Funkverkehr würde noch mindestens zwei Tage aufrechterhalten, bis die aktuelle ›Krise‹ vorüber sei. Nur andeutungsweise wurde auf zivile Unruhen in zwei Städten hingewiesen, die zur Verhängung einer Ausgangssperre geführt hätten, und zum Schluss wurde die Bevölkerung dringend aufgefordert, alle nicht amtlichen Verlautbarungen zu dem im Anflug befindlichen Schiff zu ignorieren.
    Naqi fand es nicht verwunderlich, dass es Ärger gab, sie war nur über das Ausmaß überrascht. Sie selbst neigte instinktiv dazu, die Taktik der offiziellen Stellen zu unterstützen. Das Problem war, zumindest aus Regierungssicht, dass man noch nichts Definitives über das Schiff wusste, doch indem man das zugegeben hatte, war schließlich der Eindruck entstanden, man hielte etwas zurück. Mit einer plausiblen Lüge, die man mit der Zeit behutsam so lange zurechtstutzte, bis sie schließlich mit der Wahrheit übereinstimmte, wäre man besser beraten gewesen.
    Mina stand nach Mitternacht auf und trat ihre Schicht an. Naqi legte sich zur Ruhe, aber sie schlief unruhig und träumte von roten Strichen und Streifen vor amorphen grünen Flächen. Sie hatte zu viele Stunden unverwandt auf die Anzeigen gestarrt.
    Mina weckte

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