Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
Zweite. Ich musste Rhavîn töten, es gab keine andere Möglichkeit!“ Die Hexerin sah mit starrem Blick in Renias blaue Augen.
„Richtig. Deine Schritte waren von den Göttern vorbestimmt vom ersten Augenblick an, als du den Zirkel verlassen musstest.“ Renia wies auf die Gewänder. „Du solltest dich umziehen, Auriel. Dies sind einige Kleider, die ich in der Zeit getragen habe, als ich noch jünger war. Such dir etwas Schönes aus, während ich dir die Haare flechte.“
„Ich würde viel lieber ein Bad nehmen“, seufzte Auriel mit tonloser Stimme.
„Gern.“ Renia lächelte freundlich. „Später ist dafür genügend Zeit. Wir haben dich bereits gewaschen, während du schliefst. Deine Haut ist sauber und dein Haar duftet, Auriel.“
Auriel schlug ohne Widerworte einige der Stoffe zurück, sortierte gedankenverloren zwischen den Kleidern hin und her. „Schon an dem Tag, an dem ich den Wolf bei dem Ritual nicht zu töten vermochte, hat mein Weg eine andere Richtung eingeschlagen. Schon damals war ich keine schwarze Hexerin mehr, sondern eine verlorene Seele zwischen den Zauberkünsten.“
„Auf dem Weg in das Licht!“, ergänzte Renia. Sie begann, Auriels braunes Haar kunstvoll zu flechten. Immer wieder griff sie eines der bunten Bänder auf und flocht sie in die Frisur mit ein.
„Ich wünschte, ich könnte sterben.“ Mit glasigem Blick starrte Auriel zu Boden. Hätte man ihr in diesem Augenblick angeboten, einen Speer in ihr Herz zu treiben, sie hätte ohne zu zögern zugestimmt.
„Indem du deinem Schicksal gefolgt bist und dich von der Prophezeiung hast tragen lassen, hast du der dunklen Seite endgültig den Rücken zugewandt. Du bist auf der hellen Seite angekommen, Auriel!“ Renia streichelte sanft über Auriels Rücken. „Niemals wieder werden Schatten deine Schritte lenken, niemals wieder finstere Magie von dir gewirkt werden. Von nun an sollst du Auriel Glanzweberin genannt werden!“
„Habt Dank für Eure Worte, Renia. Doch kann ich Eure Freude nicht teilen. Mein Herz ist gestern an Rhavîns Seite gestorben. Vor Euch sitzt nur eine leere Hülle.“
„Ach, wenn du dich erst ein wenig erholt hast, werden deine Gefühle zurückkehren. Dann wirst du erkennen, dass du das Richtige getan hast.“
Auriel schüttelte den Kopf.
„Nein. Zu sehr leide ich unter dem Schmerz, den ich mir selbst zugefügt habe, als ich den einzigen Mann tötete, den ich je geliebt habe.“ Auriel zog ein langes Kleid aus dem Stapel hervor, das von einer blütenweißen Farbe und mit vielen Verzierungen und Kunstfertigkeiten versehen war. Eine lange Schleppe und von zarter Spitze gezierte Ärmel verliehen dem Kleid einen unschuldigen Charme.
„Nun, es fällt dir vor allem schwer, zu töten und loszulassen, da sich deine Seele gewandelt hat“, hielt Renia dagegen. Sie half Auriel, das Kleid überzustreifen. „Eine lichte Seele verkraftet Tod und Verlust nicht so schnell, wie eine dunkle. Du empfindest mit einem Mal Trauer und Schmerz. Dies ist eine neue Erfahrung für dich.“
„Womöglich habt Ihr Recht, Renia.“ Auriel drehte sich einmal um sich selbst, das Kleid wirbelte um sie herum. Mit Renias Hilfe schlüpfte sie dann in zarte, weiße Stiefel. Das geflochtene Haar warf sie über die Schulter zurück.
„Ich sehe aus wie eine Königin, Renia!“, flüsterte Auriel, als sie an sich hinabblickte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Dann verfinsterte sich ihr Blick. „Das habe ich nicht verdient.“
„Auriel, du bist zwar keine Königin, doch eine Heldin Dragelunds. Du bist nicht länger eine Hexerin, sondern eine Zauberin des Lichts!“ Renia neigte sich vor, um Auriel ihren silbernen Schmuck anzulegen. Aufrichtig setzte sie hinzu: „Und du siehst wunderschön aus.“
„Habt Dank für Eure Hilfe, Renia. Ich muss fürchterlich ausgesehen haben. Dank Euch sehe ich wenigstens wieder aus wie ein Mensch.“ Auriel richtete ihren leeren Blick zu Boden. Die Trauer haftete an ihr wie Harz, ob sie je vergehen würde, wusste die Zauberin nicht. Doch Renias Worte trugen Früchte in ihrer Brust. Zarten Stecklingen gleich nisteten sie sich in Auriels Herz. Die zierliche Frau war sich sicher, dass sie die Dunkelheit tatsächlich überwunden und zum Licht gefunden hatte. Nichtsdestotrotz war dort ein Gefühl unsäglicher Leere in ihrem Herzen. Auriel wusste, dass dieser Platz Rhavîn gehörte. Sie war sich sicher, dass diese Leere niemals wieder gefüllt werden könnte.
„Lass uns ins Freie gehen, Auriel“,
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