Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
Schilden an den Außenwänden der Gebäude zur Schau stellten.
Etwa dreißig Menschen waren anwesend, die angeregt miteinander plauderten. Mitten unter ihnen stand Jarl Grímmaldur in seiner prunkvollen Rüstung, bewaffnet mit einem Langschwert. Er war umringt von mindestens fünf älteren Männern, die in dunkle Kutten gehüllt aufgeregt auf ihren Herrn einredeten. Da alle Augen auf den Jarl gerichtet waren, hatte noch niemand die Ankunft der beiden Frauen bemerkt. Nun aber gebot Renia Auriel stehen zu bleiben.
„Sehet mein Jarl, wen ich zu Euch führe!“
Grímmaldur der Schwarze blickte überrascht auf. Der Rat der Ältesten wich auseinander, die übrigen Menschen fuhren herum. Alle Blicke ruhten nun auf Auriel, die in ihrem weißen Gewand schüchtern am Rand des Marktplatzes weilte und den Blick beschämt zu Boden senkte.
„Renia!“, rief der Jarl überrascht. Als sein Blick von seiner Schwester zu Auriel wanderte, weiteten sich seine Augen vor Freude. Sein bärtiges Gesicht nahm einen väterlichen Ausdruck an, auf seinen Lippen malte sich ein breites Lächeln. Ohne zu zögern, eilte der Jarl über den Marktplatz zu der jungen Zauberin hinüber.
„Dies ist Auriel Glanzweberin, die Heldin Dragelunds und eine Zauberin des Lichts“, rief Renia bedeutsam. Ein Raunen ging durch die Menge. Renia wich von Auriels Seite, damit ihr Bruder sich bei ihr bedanken konnte. Grímmaldur sank vor der jungen Frau auf die Knie sank, senkte ehrerbietend den Kopf. „Sie kam zu uns als die Auserwählte und steht heute vor uns als Retterin des Königs der Nordmarken!“ Das Raunen wandelte sich in ein lautes Jubeln. Anerkennendes Rufen und etliche Dankesbekundungen hallten durch Dragelund.
Auriels Gesicht verlor jegliche Farbe. Wie erstarrt stand sie da, mit aufgerissenen Augen, die Hände krampfhaft gefaltet. Sie hielt die Luft an, das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Was tue ich hier? Auriels Gedanken flatterten. Übelkeit bahnte sich einen Weg in ihre Organe, ihr Magen krampfte sich zusammen. Ich werde gefeiert, weil ich meinen Geliebten ermordet habe. Man lobt mich dafür, dass ich Rhavîn getötet habe. Rhavîn ... Auriel starrte auf ihre kalkweißen Finger. Sein Blut klebt an meinen Händen. Für immer! Das Bild des blutverschmierten Dolches zuckte durch ihren Kopf, sie hörte Rhavîn keuchend zu Boden stürzen. Wie durch dichten Nebel nahm Auriel wahr, wie die Männer in den dunklen Gewändern, die zweifellos als die Angehörigen des Ältestenrats zu identifizieren waren, nacheinander zu ihr traten und sich ehrfurchtsvoll verneigten.
„Auriel!“ Die Zauberin wandte ihren Blick nach unten. Entgeistert sah sie in das lächelnde Gesicht des Jarls. Dankbar ergriff er ihre Hände. „Gesegnet seid Ihr von den Göttern und gedankt sei Euch von Herzen. Wenn es jemals etwas geben sollte, das ich für Euch tun kann, dann lasst es mich wissen. Euer Wunsch ist mir Befehl, denn Euch verdanke ich mein Leben!“
Auriel verneigte sich mit einem gezwungenen Lächeln. Der Tumult um sie herum verwirrte sie, zog sie in einen Strudel aus Lähmung und Verzweiflung. War sie gestern noch frei gewesen, unabhängig und glücklich, so war sie heute ein Häufchen Asche im Wind. Hin und hergetrieben von der Fassungslosigkeit und dem Entsetzen über ihre eigene Tat. Der Sonnenschein, der ein verspottendes Grinsen auf den Himmel malte, betrübte Auriels geschundene Seele noch mehr. Ohne Unterlass musste sie an ihre grauenvolle Tat denken, wieder und wieder kreisten ihre Gedanken darum. Und ohne, dass sie es beeinflussen konnte, tauchten immer von Neuem unerwartet die schrecklichen Bilder des Vortags vor ihrem inneren Auge auf. Sie geriet ins Schwanken, konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Ihre Hände zitterten, ihr ganzer Körper bebte vor Schwäche. Scheiß trat auf ihre Stirn.
Renia, die bemerkte, dass es Auriel nicht gut ging, hieß schließlich alle Menschen nach Hause zu gehen und ließ den Marktplatz räumen, bis nur noch sie und ihr Bruder anwesend waren. Grímmaldur, der seine Ungeduld nicht mehr im Zaum halten konnte, bestürmte die Zauberin mit Fragen. Durch Renias Hilfe gelang es Auriel, diese zu beantworten, sodass bald auch der Jarl über die Geschicke des Schicksals Bescheid wusste. Dass Auriel Rhavîn geliebt hatte, und nun vor Kummer und Schmerzen verging, behielt die Hexerin allerdings für sich. Sie wollte nicht noch mehr von ihrem Herzeleid preisgeben, hatte keine Kraft mehr, über ihre Gefühle zu
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