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Rheines Gold

Titel: Rheines Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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legte ihr die linke Hand in den Nacken. Die rechte erhob sie, um jene Zeichen aufzunehmen, die ihr die Verflechtungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedeuten würden.
    Drei Hölzchen wählte sie, doch dann gab die Wölfin ein unheimliches Winseln von sich, und die Runenraterin starrte Rufina plötzlich durchdringend an. Dann ergriff sie ohne zu zögern die vierte Rune.
    Rufina verhielt sich ganz still. Sie hatte schon von den weisen Frauen der Germanen gehört, die wie die Auguren Rat aus den geheimen Zeichen lasen. Diese Frau hier aber schien mehr als nur eine Zeichendeuterin zu sein. Sie war eine, die wusste. Ehrfürchtig faltete sie die Hände im Schoß und wagte kaum zu atmen.
    »Thurisaz«, sagte Wolfrune nach einer Weile des Schweigens. »Thurisaz, der Dorn. Kein gutes Zeichen. Und so singen die Alten:
    ›Der Dorn ist spitz für jeden, der ihn ergreift;
    Er ist schadenbringend und grausam
    für jeden Mann, der sich darauf legt.‹«
    Sie blickte Rufina an, die sich auf die Unterlippe biss.
    »Es ist Schaden angerichtet worden, ja!«, flüsterte sie. »Es kann nicht gut ausgehen.«
    »Nein, es kann nicht gut ausgehen, wenn man sich selbst überschätzt. Wenn man blind ist gegenüber den wirklichen Absichten der Mächtigen und Verräter.«
    Rufina wurde mit einem Mal bewusst, dass ihre Entführer nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatten. Erkmar und seine drei Begleiter konnten nichts über die Gepflogenheiten in der Therme wissen. Jemand musste sie beauftragt haben, und dieser Jemand spielte mit ihnen ein Spiel.
    Die Wölfin sah sie an, und in ihren Augen glomm ein seltsames Licht. Rufina war sich in diesem Moment nicht sicher, ob sie ein Tier oder einen Geist vor sich hatte.
    »Fürchte dich nicht vor ihr, sie schätzt dich als ihresgleichen, Füchsin!«, sagte Wolfrune und griff zum nächsten Stöckchen.
    »Mannaz, die Menschlichkeit. Höre:
    ›Der Mann ist in seiner Freude seiner Sippschaft lieb,
    auch wenn beide voneinander scheiden werden;
    denn der Herr will durch sein Gebot
    dies schwache Fleisch der Erde übergeben.‹«
    »Menschlichkeit? Es hört sich nach Tod an.«
    »Richtig, rote Füchsin. Du wirst einem guten Mann den Tod bringen.«
    »Aber ich will niemandem den Tod bringen.«
    Ein müdes Lächeln flog über Wolfrunes Gesicht.
    »Den Tod zu bringen, kann der größte Akt der Menschlichkeit sein. Und du kannst töten.«
    »Ich kann nicht.«
    »Doch, du kannst, wenn du musst.«
    »Wolfrune, was weißt du von mir?«
    »Was ich in deinen Augen lese. Und das, scheint mir, ist mehr, als du weißt. Aber du wirst lernen.«
    Nachdenklich hob sie die dritte Rune auf und benannte sie Gebo.
    »Das Geschenk heißen wir sie. Betrachte es als ein solches. Die Alten singen:
    ›Das Geschenk ist für jeden Mann Stolz
    und Lob, Hilfe und Edeltum,
    und jedem heimatlosen Abenteurer ist es Gut und Nahrung. ‹«
    »Aber...«
    »Du bist ein Weib, du schenkst Tod und Leben.«
    »Aber...«
    »Du hast Kindern das Leben geschenkt.«
    »Aber...«
    »Werde dir deines Wertes bewusst, rote Aurelia. Dies ist deine Zukunft. Und noch etwas mehr. Erst einmal in meinem Leben zuvor habe ich eine zweite Rune für die Zukunft gefunden, und beide Male war es Kenaz, die Flamme.
    ›Die Fackel ist jedem Lebenden durch ihr Feuer vertraut,
    sie ist klar und hell, sie brennt meistens,
    wenn die Gemeinen im Saale ruhen.‹<
    Jener, dem ich diese Rune mitgab, ist mit deinem Leben verwoben. In Licht und Klarheit. Und vermutlich auch in großer Leidenschaft.«
    »Wer war es?«
    Auf Wolfrunes Gesicht malte sich tiefste Befriedigung ab, und ein inneres Leuchten verschönte ihre herben Züge, als sie mit großer Genugtuung antwortete: »Ein heimatloser Abenteurer.«
    Sie schob die Runen zusammen, eine Bewegung, die Rufina so deutete, dass sie nun nichts mehr zu sagen hatte.
    »Wir wollen schlafen. Morgen zeige ich dir den Weg, den du suchst. Das Ziel aber musst du selbst erreichen.« Dann fügte sie ganz unerwartet eine kleine Schilderung hinzu, die mit all dem, was sie bisher gesagt hatte, nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. »Ich habe ein paar Füchse beobachtet. Ein Rüde und eine Fähe. Sie lebten vier Jahre zusammen. Oder länger. Ich fand ihn. Ein Pfeil hatte ihn getroffen. Die Fähe wartete auf ihn. Den ganzen Sommer lang. Sie ging immer denselben Weg. Hin und her, hin und her. Sie rupfte sich das rote Fell aus. Sie hungerte. Schließlich starb sie. Aus Trauer und Einsamkeit.«
    »Wolfrune...«
    Die weise Frau aber stand

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