Rheingau-Roulette
ließ strahlenden Sonnenschein herein. Sie betrat einen kleinen, mit Metallgitter abgezäunten Bereich, der gerade groß genug für zwei Stühle und einen kleinen Tisch war. Sie setzte sich, drehte ihren Kopf in die Sonne und schloss die Augen. Schön hier. Der Kaffeeduft, der ihre Nase umschmeichelte, riss sie aus ihren Gedanken. Hannes hielt ihr eine Tasse köstlich duftenden schwarzen Kaffee vor die Nase.
„Milch und Zucker stehen auf dem Tisch!“
„Danke.“ Alexandra nahm sich beides und trank vorsichtig einen Schluck des heißen Kaffees. „Wieso bekommst du sonntags Stein-Lieferungen? Ist das hier auf dem Land normal?“
Hannes zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung, ob das normal auf dem Land ist. Der Lieferant ist jedenfalls ein Kumpel von mir und bringt mir die Steine, wenn sie da sind.“ Er hielt seinen großen Kaffeebecher in den dreckverschmierten Händen und trank einen Schluck.
„Du hast also schon gearbeitet?“ Sie verwies auf seine schmutzigen Hände.
„Ja. Schon seit sechs Uhr.“ Er sah auf seine Hände. „Wenn ich den Kaffee ausgetrunken habe, wasche ich mich und dann kann ich dich nach Hause fahren.“
„Musst du nicht.“ Alexandra versuchte, den Frust des gestrigen Abends nicht in ihrer Stimme anklingen zu lassen. Sie wollte nicht mit ihm streiten und sie wollte nicht über die Alternative zum Streit nachdenken. Das würde das Vordringen in verbotene Dimensionen bedeuten.
Er hatte sein Gesicht der Sonne zugewandt, so wie sie noch vor ein paar Minuten. Seine Augen waren geschlossen und er wirkte völlig entspannt. „Ich weiß, dass ich es nicht muss. Aber du erinnerst dich an gestern Abend? Du erinnerst dich daran, dass jemand in deinem Haus war?“ Er öffnete ein Auge und der blaue Strahl einer Gletscherzunge traf sie. Mitten in ihren Bauch. Und verbreitete Unruhe. Unruhe, die sie nicht wollte. „Oder versuchst du das genauso auszublenden wie deine alkoholisierten Flirtversuche?“
Alexandra sagte nichts. Sie wollte tatsächlich weder an das eine noch das andere denken. Hannes hatte die Augen wieder geschlossen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
„Schade, dass du einen Rock anhast“, sagte er nach einer kleinen Pause.
Alexandra fragte „Warum?“
Er lächelte träge mit geschlossenen Augen. „Auch wenn es hübsch aussieht. Aber Röcke sind unpassend für das Motorrad. Ich hätte Lust auf eine kleine Tour bei dem Wetter.“ Seine blauen Augen trafen sie erneut ins Mark. „Willst du dich nicht umziehen? Deine Kartons sind doch gleich nebenan, da wird doch was drin zu finden sein, was fürs Motorradfahren geeignet ist?“
Ihr Pulsschlag erhöhte sich. Das fehlte ihr noch. Enger Körperkontakt mit diesem Mann? Ein Körperkontakt, der auf dem Motorrad unausweichlich wäre und sich dann auch noch kompromisslos ihm und seiner Fahrweise ausliefern? So unausgeglichen, wie ihr Verhältnis zu Hannes war, würde sie besser nicht zu ihm auf das Motorrad steigen.
„Es geht nicht. Nicht heute. Tut mir leid. Ich muss nach Hause, ich muss dort nach dem Rechten sehen.“
Er seufzte ergeben. „Okay. Es ist schade. Aber ich sehe es ein. Dann auf. Ich gehe mich waschen und dann können wir losfahren.“
Die Gartentür stand genauso verschlossen, wie den Abend zuvor und die kleine Funzel über der Haustür leuchtete noch immer.
„Also dann. Schauen wir mal. Hast du Gas?“
Alexandra schüttelte den Kopf.
„Na, immerhin etwas. Fliegt uns jedenfalls nicht gleich alles um die Ohren ...“ Er grinste, bis er ihren Gesichtsausdruck sah. „War nur ein Witz! Wird schon nicht so schlimm sein! Wahrscheinlich hast du nur die falsche Sicherung rausgedreht und alles war falscher Alarm. Komm. Wir sehen nach.“
Die Haustür war verschlossen und die gesamte untere Etage sah unverändert aus. Bis auf ein Detail. Das Messer, das sie verwendet hatte, um die Blumen für Andrea und Vera zu schneiden, lag nicht mehr in der Spüle, sondern steckte senkrecht in einem Brief auf dem Wohnzimmertisch. Es steckte in Hannes’ Brief, den er ihr nach dem Rheingau-Roulette-Abend geschrieben hatte.
Hannes sah es und blickte auf Alexandra, die stumm den Kopf schüttelte. Sie fühlte, wie die kalte Hand der Furcht nach ihr griff. Langsam ging sie hinter Hannes die Treppe hoch, froh darum, dass sie nicht allein war. Seine Schritte waren bedächtig und leise, versuchten sich geräuschlos nach oben zu arbeiten. Die Beklommenheit wanderte langsam aus ihrem Bauch bis zu ihrem Herz. Tok, tok,
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