Rheingold
Schon nach einem Tag erreichten sie den Berg, von dem Awilimo sagte, es sei der Drachenfelsen.
»Siehst du dort den breiten Weg zwischen den Felsen, Sigmund?« sagte er. »Dort, so heißt es, kommt Fafnir zum Fluß, um zu trinken.«
Der breite Weg, der sich auf dem Berg nach oben wand, glich der Spur einer Schlange und war vom Feuer schwarz verbrannt. Ein kalter Schauer lief Sigmund über den Rücken, aber er umfaßte den Schwertgriff und zwang sich, zu dem dunklen Felsspalt am Anfang des Wegs hinaufzublicken. Awilimo wandte den Kopf ab. Ehumari schlug das Zeichen des Hammers, und Theodibald wechselte zur anderen Seite des Schiffs. Nur Herwodis blieb stehen, aber sie klammerte sich so fest an den Mast, daß ihre Fingernägel kleine Halbmonde im Holz hinterließen.
»Bist du immer noch bereit, dich Fafnir zu stellen?« fragte Awilimo spöttisch. Sein Gesicht war leicht gerötet, denn er schämte sich seiner Angst.
»Ja, das bin ich«, erwiderte Sigmund. »Wenn mein Land hier befriedet ist, werde ich mich ihm zum Kampf stellen.« Er hob den Kopf und blickte bewußt zu der Höhle hinauf. Und während sie unten auf dem Fluß vorüberglitten, sah er mit dem Blick seiner
Seele in der Dunkelheit des Felsens einen rotgoldenen Schein.
*
Gegen Abend glaubte Sigmund, daß sie noch einen halben Tag von der Flußmündung entfernt waren. Sie näherten sich gerade einer Stelle, wo ein dichter Wald endete und eine flache, offene Niederung begann, als ein Horn erschallte, und sie sich einer großen Flotte von fünfzehn oder zwanzig Schiffen gegenübersahen. Sigmund setzte Wals' Horn an die Lippen und blies seinen Ruf. Das Flaggschiff der feindlichen Flotte ruderte näher, und Sigmund sah im abendlichen Sonnenlicht Lingwes blonde Locken. Vor Wut krümmte sich sein Körper wie ein gespannter Bogen.
»Was ist das für ein heimtückischer Hinterhalt?« rief Sigmund laut über den Fluß. »Nur der Heimtückische sieht in einer ehrlichen Herausforderung etwas Heimtückisches!« hörte man Lingwe mit hoher Stimme antworten. »Geht vor Anker und kämpft, oder wir warten bis morgen, wenn du Zeit brauchst, um dich auf den Kampf vorzubereiten. Ruf meinetwegen deine Verwandten zur Hilfe, denn ich habe auch meine gerufen. Ich fordere Genugtuung für die Beleidigungen in Awilimos Halle.«
Sigmund wollte die Herausforderung auf der Stelle annehmen, aber Herwodis trat an seine Seite und legte ihm den Arm um die Hüfte.
»Warte bis morgen«, flüsterte sie, »das gibt dir und Vater Zeit, einen Plan zu machen. Ich verstehe nicht viel von Schlachten, aber selbst ich kann sehen, daß dieser Kampf nur mit Klugheit zu gewinnen ist und nicht allein mit deiner Stärke.«
Sigmund atmete langsam und tief und beruhigte seine wölfische Natur. Herwodis hatte natürlich recht. Nur sein Zorn über das unerwartete Hindernis, das sich ihm unerwartet in den Weg stellte, wo doch alles in Reichweite lag, was er sich erträumt hatte, hätte ihn vorwärtsgepeitscht.
»Wir kämpfen morgen bei Tagesanbruch!« rief Sigmund, ergriff das Ruder und steuerte das Schiff selbst ans Ufer. Sie ankerten am Waldrand. Die anderen fünf Schiffe seiner Flotte folgten ihm unter den Flüchen und drohendem Gebrüll der Männer. Lingwes Flotte ging in sicherer Entfernung ebenfalls vor Anker. Sigmund und Awilimo halfen ihren Leuten beim Errichten des Lagers. Herwodis und Hilde arbeiteten ebenfalls, bis alle Zelte aufgestellt waren. Sie trugen Bündel und schlugen mit den Männern die Zeltpflöcke ein. »Ich glaube«, sagte Awilimo schließlich, »wir müssen uns darauf einstellen zu kämpfen und auch zu sterben, wenn es sein muß. Mein Bruder wird vielleicht in der Lage sein, uns zu rächen. Aber außer weglaufen, können wir sonst wenig tun.«
Herwodis blickte von ihrem Vater zu ihrem Mann. »Daran mag etwas Wahres sein. Ihr werdet also morgen kämpfen, und ich werde heute nacht mit Hilde in den Wald gehen, und wenn wir uns und das, was wir bei uns haben, so gut wie möglich verstecken, dann ist nichts verloren, wenn ihr die Schlacht gewinnt. Falls Lingwe gewinnt, hat er dann nur den halben Sieg.«
Ihre Ruhe beruhigte auch Sigmund. Er legte ihr den Arm um die Schulter und küßte sie. Die Klugheit und stille Würde seiner Frau machten sie ihm sehr kostbar, erst recht, wenn er daran dachte, wie sie ihn nachts umarmte und zärtlich mit ihm flüsterte. Sie war noch ein junges Mädchen und doch schon eine Frau, deren Liebe voll erwacht war. Es wäre zu grausam, wenn ich sie
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