Rheingold
Mut haben, das Feuer zu ertragen, denn verbrennen wird nur das,
was tot ist. Laß dich nicht von dem Feuerzauber täuschen. Mein Bruder Hörnir wird an deiner Seite stehen. Wenn du keine Angst hast, wirst du die Feuerprobe bestehen, und alles verbrennt, was verbrennen muß.«
Sigfrid nickte, ohne den Alten richtig zu verstehen. »Laß dir dein Schwert nicht entwinden und hüte dich vor falschem Rat. Der Kampf ist nicht von dieser Welt, du aber mußt ihn hier bestehen. Wenn der Drache als Lindwurm sichtbar geworden ist, mußt du dein Schicksal selbst durch dein Tun bestimmen. Die Nornen werden dann die Fäden spinnen.«
Er stand auf, hob den blitzenden Speer, berührte damit Sigfrids Stirn, drehte sich um und ging mit großen Schritten davon.
*
Es war später Nachmittag, als Sigfrid vier tiefe Gruben ausgehoben hatte. Die höchste und kleinste war für ihn. Die anderen drei waren durch ein Loch am jeweils unteren Ende miteinander verbunden, damit das Drachenblut weiterfließen konnte. Schwitzend setzte sich Sigfrid in den Schatten der Linde und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer gegen den Stamm. Die graue Rinde war angenehm rauh an seinem nackten Rücken. Ein paar Bienen umsummten die hellen Knospen und suchten nach den ersten Blüten.
Das Land am anderen Ufer des Rheins war flach und bewaldet. Weiter im Süden sah Sigfrid die Häuser einer ehemals römischen Stadt, die jetzt den Franken gehörte. Waldmeister blühte um ihn herum. Die winzigen weißen Blüten wirkten zart und rein auf den langen dunklen gezackten Blättern. Wenn Alprecht mit seinem Gefolge zum Ostarafest wie in jedem Jahr zu Chilpirichs Halle geritten war, dann sammelte Herwodis den noch nicht blühenden Waldmeister und würzte damit über Nacht den hellen, duftenden O starawein, Sigfrid dachte an Gudrun. Sammelte auch sie Waldmeister für den Ostarawein? Wartete sie auf ihn und hoffte, er werde nach der Rache an Lingwe bald zu ihr kommen? Erinnerte sie sich besser an ihn als er an sie? Er versuchte, sich vorzustellen, wie sie jetzt aussehen mochte, aber seine Erinnerung blieb unklar. Bei dem Gedanken an sie hätte er jede beliebige Frau vor Augen haben können.
Über ihm in den Zweigen trillerte und zwitscherte es. Sigfrid beobachtete die braunen Vögel, die munter von einem Ast zum anderen hüpften. »He, redet ihr über mich?« rief er ihnen zu, »könnt ihr mich vielleicht besser verstehen als ich euch? Nein? Gut, dann werde ich versuchen, in eurer Sprache zu sprechen.« Er spitzte die Lippen und wollte pfeifen, aber nur ein mißglückter Laut kam ihm über die trockenen Lippen. Er lachte. »Das war nicht besonders gut...« Er befeuchtete die Lippen und versuchte es noch einmal. Und wirklich, es gelang ihm, einen klaren hellen Ton zu trillern. Aber die Vögel achteten nicht darauf und sangen unbeeindruckt ihre eigenen Melodien. »Ach, ihr kümmert euch nicht um mich!« rief er gespielt anklagend, »na gut. Bleibt nur in den Bäumen! Wenn ihr den Mut dazu habt, dann könnt ihr bald etwas sehen, was auch euch beeindrucken wird. Vielleicht werdet ihr dann mit mir sprechen.« Er lachte und schlief in der warmen Sonne ein.
*
Dunst stieg vom Rhein auf, als die Sonne tiefer sank. Das Land weiter unter versank im Nebel, der auch den Wald am anderen Ufer verhüllte. Je dunkler es wurde, desto stärker blies der Wind. Zitternd vor Kälte erwachte er. Er spürte sofort eine prickelnde Spannung. Eine unnatürliche Stille lag über den Bäumen. Auch die Vögel verließen ihr Nachtlager in den Ästen und flogen schnell davon. Wenige Augenblick später glaubte Sigfrid, das Beben im Gestein zu spüren. Dann erst hörte er das tiefe, knirschende Geräusch von Stein auf Stein. In der Höhle hoch über ihm bewegte sich etwas, aber so langsam wie Baumwurzeln, die sich durch den Berg winden. Er lief zu seiner Grube, zog Gram aus der Scheide und legte sich auf die warme Asche. Die Erde übertrug ihm die gespenstischen Schwingungen des Drachen, der sich langsam entrollte. Zuerst sah Sigfrid nur den feurigen Goldglanz im Eingang der Höhle. Das Funkeln und Schimmern löste in seinem Kopf einen hellen, durchdringenden Ton aus, und seine Hände begannen zu zittern, obwohl er Gram umklammerte. Ein glühender Goldfluß ergoß sich langsam wie brodelnde Lava aus der Höhle. Sigfrids Mund wurde trocken. Dann setzte sein Herz einen Schlag lang aus, als sich aus dem feurigen Gold der riesigen Kopf einer unvorstellbar großen Schlange hob. Dieses unheimliche Wesen
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