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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Stirn, so groß wie ein Taschentuch?«
    Martin holte sich den Drehstuhl heran. »Wir haben gestern Abend gefeiert und zu viel getrunken. Bernhard ist einer Tür in die Quere gekommen.«
    »Geschieht ihm recht.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf den Läufer. »Wo hast du das Teil her? Hässlich wie die Nacht!«
    »Nur ein Notbehelf, bis der Teppichboden ausgetauscht ist. Mir ist eine Flasche Rotwein runtergefallen.«
    Die Ringelbeine landeten auf dem Boden und stapften durch den Raum. Inga zupfte an der Läuferkante und schaute darunter. »Igitt! Muss ja ’ne heftige Feier gewesen sein. Was war der Grund?«
    Martin lächelte. »Es wird Veränderungen geben. Ich steige als Partner in die Agentur ein.«
    Inga fuhr herum. »Was? Kein Wunder, dass Bernhard so sauer ist. Mit welcher Erpressung hast du ihn dazu gekriegt?«
    Wie witzig! Martin schluckte. »Es ist an der Zeit, meine ich.«
    Sie lächelte hintergründig. »Ich weiß auch etwas Neues. Norma Tann hat Bieler gefunden. Er ist hier in Wiesbaden!«
    Wer wüsste das besser als Martin selbst. Sein Puls beschleunigte sich. Unmittelbar nach der Wende hatte es keinen Streit gegeben. Kai hatte alles hinter sich lassen und nichts von den Stasiakten wissen wollen, die er ab Dezember 1991 hätte einsehen können. Seine gestrige Wut ließ darauf schließen, dass er seine Zurückhaltung aufgegeben hatte.
    Inga zupfte an einer Haarsträhne und plapperte aufgeregt weiter. »Er lebt in Berlin. Nennt sich jetzt Lambert mit Nachnamen. Dass er was mit meiner Mutter hatte, gibt er offen zu, sagt Norma. Aber angeblich nicht zu der Zeit, als Marika schwanger wurde. Ich glaube, er will sich nur schützen. Kann man auch verstehen, finde ich. Wenn einem plötzlich eine Tochter präsentiert wird. Wenn er mich erst einmal kennengelernt hat, wird er bestimmt alles zugeben. Martin!«
    Er zuckte zusammen. »Was?«
    »Träumst du?«
    Sie trat hinter ihn und schaute damit genau auf das Foto, das er als Bildschirmschoner gespeichert hatte.
    Es zeigte den Kopf der Schlange. Die Augen blickten ins Leere und verliehen der Aufnahme ein düsteres Geheimnis.
    Inga staunte. »Eine Äskulapnatter! Wie kommst du daran?«
    »Das Tier lag tot am Straßenrand.«
    »Tot? Aber wieso?«
    Martin klickte das Bild weg. »Eine üble Bisswunde. So sah das aus.«
    »Wo war das?«
    Er nahm die Karte aus der Schublade und tippte spontan auf den Goethestein, einen Aussichtspunkt nahe Frauenstein, dessen spitz gemauerte Steinpyramide an die Besuche des Dichterfürsten erinnern sollte. Inga wusste, dass Martin oft dort war und den Ausblick ins Rheintal liebte. Sie wollte den Fund der Naturschutzbehörde melden. Einer der Mitarbeiter war mindestens so verrückt nach den Schlangen wie sie.
    »Hast du noch mehr Bilder gemacht?«
    Nur diese eine Aufnahme, versicherte er. Wo er das tote Tier gelassen habe, wollte sie wissen.
    »Ich habe das Vieh in einen Graben geworfen, wo es längst der Fuchs geholt hat.«
    Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen.
    »Mach dir nicht so einen Kopf um eine tote Schlange!«
    »Da ist noch etwas!«
    Martin überkam eine Welle von Mitgefühl. Ein weiteres Gefühl mischte sich hinein, das ihn verwirrte und verunsicherte. »Nun sag schon!«
    Sie hockte sich wieder auf den Schreibtisch. Jetzt hielten die Beine still. Sie senkte den Kopf und betrachtete eine Weile ihre Füße, bevor sie aufschaute und Martin die tränennassen Augen zuwandte. »Ich will doch nur einen Vater, der mich mag, wie ich bin. Der mich achtet. Der mich – vielleicht – ein bisschen lieb hat.«
    Er hielt diesen Blick nicht aus. Mit einem Mal konnte er das neue Gefühl deuten. Ein starkes Empfinden. Von Fürsorge. Von Liebe. Eine reine Liebe, frei von jedem Verlangen. Was dann geschah, konnte Martin sich im Nachhinein nur mit seiner Müdigkeit und den Aufregungen des vergangenen Abends erklären.
    »Du sollst nicht länger zweifeln, Inga«, sagte er leise. »Dein Vater. Das bin ich.«
    Mit diesem Geständnis, erkannte er zu spät, fügte er den Fehlentscheidungen seines Lebens eine weitere Meisterleistung hinzu.

12
    Der Polo kämpfte sich die Idsteiner Straße hinauf. Norma schaltete in den zweiten Gang zurück und bog in eine Seitenstraße ab. Bernhard Inken verließ jeden Morgen pünktlich um 8 Uhr das Haus, wusste sie von Inga. Von montags bis donnerstags führte ihn der Weg in die Agentur und an jedem Freitag, sofern es das Wetter erlaubte, zum Golfplatz ›Rheinblick‹ westlich der Stadt. Noch hielt sich die Sonne

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