Rheingrund
zur Spielbank vorbeischlenderte und grüßend die Hand hob.
»Siehst du den Mann dort?«
Lutz zog die Augenbrauen zusammen. »Ist das nicht der Kerl, der im Großen Haus für Aufsehen sorgte? Kein Wunder, dass Undine ihn eingeladen hat. Sie ist vernarrt in Skandale und erst recht in deren Verursacher.«
»Außerdem ist er Dokumentarfilmer. Kai Kristian Lambert alias Bieler. Ruth Diephoffs neue Spur!«
Lutz seufzte. »Und ich hoffte schon, du bist meinetwegen hier. In Wahrheit spionierst du herum. Nein, dein charmantes Lächeln tröstet mich nicht, meine Liebe.«
Norma drückte seinen Arm. »Nimms sportlich, Lutz! Achtung: Deine Herzensdame verlangt nach dir.«
Undine hielt auf sie zu und begrüßte Norma mit kühler Zurückhaltung. »Schicke Stiefel, meine Liebe. Was hast du mit deinen Haaren angestellt? Lutz, lass uns anfangen. Würdest du bitte die Tür öffnen?«
Die Gäste folgten Undines Aufforderung und eilten in den Nebenraum. Lambert ließ sich vom Strom mitziehen, und Inken strebte hinterher. Norma wartete ab und leerte in Ruhe das Glas. Undines Stimme schallte bis ins Foyer hinein. Als die Leute klatschten, folgte Norma den anderen. In der Tat, die Galeristin hatte keinen Aufwand gescheut. Der Christian-Zais-Saal, benannt nach dem Architekten des ursprünglichen Kurhauses, bildete mit seinen prächtigen Holztüren und den parallel zu den Wänden verlaufenden Reihen marmorierter Säulen einen kontrastreichen Ort für die quadratmetergroßen Ölgemälde, die in der Mitte der Halle platziert waren. Die Motive wirkten von Ferne wie Fotografien. Norma betrachtete die Szene aus Hitchcocks ›Vögel‹, in der sich die Krähen auf dem Schulhof versammelten. Mit jedem Schritt, den sie sich näherte, traten die Pinselstriche deutlicher hervor, bis sich die Konturen der Tiere zu grauschwarzen Schlieren auflösten.
Als sie an dem Gemälde vorbei schaute, blickte sie geradewegs in einen Spiegel, der die Wandfläche zwischen zwei Flügeltüren ausfüllte. Als hüte er ein erlesenes Gemälde, umfasste der pompöse Rahmen die umherschlendernden Menschen in ihrem Rücken. Sowie Norma selbst, in den hohen Schuhen ungewohnt groß. Schmale Schultern unter der dunklen Jacke. Ein längliches Gesicht, umgeben von aschblondem Haar, das glatt bis auf die Schultern fiel. Wache blaue Augen, die das Ebenbild streng musterten.
Ein Mann trat in das Bild hinein. Kräftiger Oberkörper, grauer Haarkranz. Das Pflaster auf der Stirn war durch ein kleineres und unauffälligeres ersetzt worden.
Dem Landedelmann war der Goldrahmen angemessener als der Detektivin, urteilte Norma nüchtern.
»Bisweilen kommt einem der eigene Anblick fremdartig vor«, sagte Inken leichthin.
Darauf fiel ihr keine gescheite Antwort ein.
Er lächelte breit. »Lutz Tann hat mir erzählt, Sie wollen sich meiner Streckenbeschreibungen annehmen. Dafür bleibt Ihnen jetzt genug Zeit, weil Ruth die Suche nach Marika abbrechen ließ. Die Nachforschungen wühlen sie zu sehr auf.«
Norma drehte sich vom Spiegel weg und richtete den Blick auf Inken. »Sie sind falsch informiert.«
Er blinzelte verwundert. »Ruth hat den Auftrag nicht zurückgezogen?«
»Warum sollte sie? Es gibt neue Hinweise. Wissen Sie, dass Martin Reber vermisst wird?«
Inken schaute bekümmert. »Sandra hat mich angerufen. Eigentlich wollte sie mit Martin hierher kommen. Die Arme ist äußerst beunruhigt. Wer könnte ihre Sorge besser verstehen als ich?«
»Können Sie mir erklären, warum wieder ein Mensch aus Ihrer Umgebung verschwindet?«
Er lachte leise. »Sie wollen mich provozieren, Frau Tann. Das gehört zu Ihrem Beruf, nehme ich an. Trinken Sie lieber einen Sekt und genießen Sie den Abend.«
»Das werde ich tun, Herr Inken. Aber vielleicht beantworten Sie mir vorher einige Fragen?«
»Nur zu! Wenn Sie mich anschließend zufrieden lassen.«
»Wo waren Sie an dem Abend, als Marika verschwand?«
»Das wissen Sie doch längst!«
»Aber nicht von Ihnen persönlich.«
»Wollten wir uns nicht den langweiligen Part ersparen?«
»Von Langeweile kann keine Rede mehr sein. Also, wären Sie so nett?«
Er schaute zur Seite und erwiderte den Gruß eines Mannes. »An dem Tag habe ich Marika nach dem Frühstück nicht mehr gesehen«, begann er seine monotone Ausführung. »Sie wollte Inga am Nachmittag zu Ruth bringen und gegen Abend zu diesem Seminar aufbrechen. Ich bin von der Agentur aus direkt zum Fitnessstudio gefahren. Dort erreichte mich ein Anruf von Ruth. Sie war sehr
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