Rheinsteigmord - Kriminalroman
blickte auf das jenseitige Ufer, als freute er sich an den Lichtern, die dort drüben vereinzelt aufblinkten, und über die Umrisse der Burg auf den Hügeln.
»Tagsüber hat man von hier sicher einen schönen Blick«, sagte Charly. »Da drüben liegt Bad Breisig. Und oben die Burg Rheineck. Sie ist übrigens bewohnt.« Er drehte sich um. »Privatbesitz.«
Es war so dunkel, dass Fred Charlys Gesicht nicht erkennen konnte. Er sah nur einen hellen Schemen über dem ebenfalls hellen Hemd. Alles andere verschwamm mit der nächtlichen Umgebung.
»Nein, Fred. Das Geld ist mir egal. Mir geht’s um was anderes.«
Und was?, wollte Fred fragen, aber er kam nur noch dazu, Luft zu holen. Bevor er auch nur den geringsten Laut bilden konnte, knallte etwas in seinen Nacken. Der Schlag riss alle Kraft aus seinem Körper. Er ging auf die Knie, und es traf ihn die Faust noch einmal – diesmal von der Seite. Fred kam so zu liegen, dass er Charlys Beine sah, die auf ihn zustapften.
»Das ist übrigens Pablo, mein neuer Mitarbeiter«, sagte er, als er bei Fred angekommen war und sich über ihn beugte. »Du siehst ihn gerade nicht, aber du hast sicher mitbekommen, dass er hier ist, nicht wahr? Er ist ein fleißiger Junge. Hat heute extra für mich Überstunden gemacht. Aber nun hat er gleich Feierabend. Deswegen gehen wir jetzt. Viel Spaß noch, Fred. Und halt dich von mir und meiner Firma fern. Nur ein guter Rat.«
Er stapfte davon.
Fred versuchte, sich aufzurichten, aber es gelang ihm nur, sich herumzudrehen. Die Scheinwerfer von Charlys Wagen flammten auf. Er schloss geblendet die Augen, aber die gleißenden Umrisse hatten sich bereits eingebrannt und glühten als grünliche Silhouetten nach.
Er hielt den Oberkörper steif und schaffte es, sich hinzuknien. Mit einer entschlossenen Bewegung stand er auf. Mit seinen Beinen war alles in Ordnung. Immerhin.
Chandlers Seitentür stand immer noch offen. Das Licht der Elektrolampe war an. Auch das Radio. Das Konzert aus Frankfurt war offenbar zu Ende. Jetzt erklang ein Klavierstück. Chopin. Duftig, perlend. Ein krasser Gegensatz zu Freds Stimmung.
Er versuchte, in den Wagen und auf den Sitz des Pultes zu klettern, aber sobald er Druck auf die Arme gab, schmerzte es höllisch im Rücken. Langsam, dachte er. Du willst doch wohl jetzt nicht ernsthaft noch schreiben? Leg dich hin. Du musst dich erholen. Schlaf.
Fred kniete sich noch einmal hin, diesmal vor dem eingebauten Bett. Er zog die breite Schublade mit den Vorräten heraus. Weil er sich nicht schmerzfrei nach vorn beugen konnte, tastete er darin herum und fand die Whiskyflasche. Wenn er schon keine Schmerzmittel hatte, dann eben das.
Es gelang ihm mit viel Mühe und zusammengebissenen Zähnen, Chandlers Tür von innen zu schließen, die Schuhe auszuziehen und sich ins Bett zu legen. Vorsichtig schraubte er die Flasche auf und hielt sie hoch. Ein bisschen fehlte. Viel hatte er noch nicht getrunken.
Er zog einen Doppelten heraus und schluckte. Wunderbar.
Auch wenn er sie ausgeblendet hatte – die Sache mit Charly hatte ihn die ganze Zeit beschäftigt. Gut, dass das jetzt ausgestanden war. Hoffentlich hatte er keine ernsten Verletzungen.
Ein richtiger Detektiv muss so was vertragen, dachte Fred. Und du bist doch ein richtiger Detektiv, oder?
Ein paar Szenen kamen ihm in den Sinn. Szenen, die er sich für seine Romane ausgedacht hatte: Ein Mann mit Hut und langem Mantel, der – eine Pistole in der Hand – durch eine regennasse nächtliche Stadt hetzt, durch Hinterhöfe und über Backsteinmauern.
Das ist viel zu viel Chandler, Marlowe, Bogart, dachte Fred. Das kannst du gleich wieder vergessen. Nimm lieber den Fall, an dem du gerade arbeitest.
Die Frau in Orange.
Bin ich mit Ihnen verabredet? Warten Sie auf mich? Haben wir eine Verabredung?
Ja, die dritte Version war die beste.
Doch dann: freier Fall. Ein Körper, der die Ley hinunterfällt, irgendwo aufknallt, sich mit letzter Kraft, schwer verletzt, festkrallt.
Unten, zwischen vielen Dächern von Rheinbrohl, steht jemand und schaut hinauf. Fred selbst. Die Verletzte sieht ihn, sie versucht zu schreien, aber es gelingt ihr nicht. Die Kraft verlässt sie, die Hoffnung auf Hilfe ebenfalls. Eine Sekunde lang ist die Qual, sich festzukrallen, so unerträglich, dass sie den Moment des freien Falls wieder herbeisehnt, den sie ja schon einmal erlebt hat. Sie kehrt dorthin zurück. Lässt los.
Schwärze.
Ein Geräusch.
Fred fährt am Steuer von Chandler herum. Aber er
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