Rheinsteigmord - Kriminalroman
keine Angst?
In dem kleinen Radio brandete Applaus auf. Er wurde langsam ausgeblendet, und eine Sprecherin sagte: »Hier ist der Südwestrundfunk mit seinem zweiten Programm. Angeschlossen sind der Hessische Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk. Sie hören die Übertragung eines Konzerts aus der Frankfurter Alten Oper. Wieland Hecht spielte Bachs Chaconne d-Moll für Violine solo …«
Na, Sarah, dachte Fred. Wie würde dir das gefallen? Wieder so ein Zufall. Heute Vormittag war ich noch bei Hecht zu Hause, und jetzt höre ich ihn im Radio. Dabei habe ich doch gar keinen bestimmten Sender gesucht. Ich wollte einfach nur Klassik hören.
Draußen waren Schritte zu hören, und im nächsten Moment wurde neben Fred mit dem hässlichen schleifenden Geräusch die Seitentür aufgezogen.
»Hierhin hast du dich also verzogen. An den Rhein. Wie eine Wasserratte. Passt ja.«
Es war Charly.
17
Er trug ein weißes Hemd und einen grauen Anzug. Machte auf Geschäftsmann. Seine Wampe ragte in Chandlers Innenraum.
»Lass mich in Ruhe«, rief Fred von seinem Schriftsteller-Thron herab. »Ich hab dir gesagt, dass ich Urlaub brauche. Und weil du ihn mir nicht geben wolltest, hab ich ihn mir genommen.«
»Und einen guten Auftrag gleich mit. Ja, du brauchst gar nicht so dämlich zu gucken. Dahinterzukommen war ja nun wirklich kein Problem. Erst hat mich diese Frau Friesdorf angerufen, von der du behauptet hast, sie hätte sich verwählt, dann heute noch eine Frau Ackermann. Und dich zu finden war auch kein Problem. Ich brauchte nur deine Tochter verfolgen zu lassen.«
»Verfolgen lassen ?« Fred versuchte so viel Spott wie möglich in seine Stimme zu legen. »Hast du so schnell jemanden gefunden, der für dich die Drecksarbeit macht?«
Charly trat einen Schritt zurück und stellte sich gerade hin. »Komm doch mal da runter, Fred«, sagte er freundlich. »Ich hab keine Lust, mit dir zu reden, während du da hinter deiner Maschine sitzt. Ich verstehe ja, dass du Träume hast. Haben wir alle. Und wenn du ein Buch schreiben willst und dafür Zeit brauchst – warum nicht? Du hättest es mir nur sagen müssen.«
»Ich hab’s dir gesagt, Charly.« Fred schwang die Beine auf die Kante des Seiteneingangs und stieg aus.
Charly hatte den Blick abgewandt und betrachtete die dunklen Bäume. Bis auf das Licht von der kleinen Lampe in Chandlers Innerem war es stockdunkel. Fred hatte keine Angst. Charly konnte nicht viel tun, außer sich aufzuregen. Wenn er handgreiflich werden sollte, würde er nicht weit kommen. Er war ein unbeweglicher Fettsack, der schon kurzatmig wurde, wenn er nur einmal um den Schreibtisch herumgehen musste.
»Hast dir ja ein nettes Eckchen ausgesucht.« Charly legte Fred, der näher gekommen war, eine Hand auf die Schulter. »Weißt du, ich hätte dich gern als Partner in meiner Firma gehabt. Wie ich es dir angeboten habe.«
»Kann alles werden, Charly. Lass mich aus dem Urlaub zurückkommen, dann sehen wir weiter.«
»Aber ist das denn ein Urlaub? Ich meine, du arbeitest an einem Fall. Das ist doch der reine Stress. In Wirklichkeit willst du doch Zeit für dein Buch haben, stimmt’s nicht?«
»Sicher stimmt das. Aber ich brauche auch Geld. Und da kam der Fall von Frau Friesdorf gerade recht.«
»Und dir ist nicht mal die Idee gekommen, dass ich … sagen wir mal … sauer reagieren könnte? Auf Mitarbeiter, die Aufträge einfach an sich reißen? Wer kann so was tolerieren? Könntest du so was tolerieren? Sag, ehrlich.«
»Na ja, ich geb ja zu, dass es nicht ganz okay war. Aber ich hätte dir vielleicht was von dem Geld abgegeben, weißt du. Das, was über die beiden Gehälter hinausgeht, die du mir schuldest. Ich war nämlich auch sauer auf dich. Du bist ja gar nicht auf meine Probleme eingegangen.«
»Du gibst es zu, soso. Und wie kommst du voran? Ich meine, bist du dem Fall gewachsen?«
»Wieso fragst du das? Traust du mir nicht zu, den Professor zu finden?« Fred ging einen Schritt von Charly weg. Dessen Verhalten kam ihm plötzlich seltsam vor. Dieses Anbiedernde, offensichtlich Kameradschaftliche … Das passte nicht zu ihm. »Sag mal, Charly, was genau willst du hier? Willst du die dreißig Euro zurückhaben? Ist es das? Kein Problem.« Fred tastete nach seiner Geldbörse. Nein. Er brauchte das Geld. Und Charly schuldete ihm was. Also stoppte er in der Bewegung und sah Charly an – der einfach davonspazierte, hin zu der Stelle, wo der kleine Abhang zum Rhein hinunterging. Er blieb stehen und
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