Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
zufällig die gleichen Hobbys wie Ferdi. Huren und Macht.«
»Könnten Sie uns die Namen dieser Freunde geben?«
»Natürlich. Ich schreibe Ihnen die Namen auf.«
Frau Karstensen ging zum Schreibtisch und notierte einige Namen. Ammer nahm den Zettel entgegen und stand auf. Freitag folgte ihm.
»Vielen Dank, Frau Karstensen. Ich hätte dann nur noch eine Frage. Wo waren Sie gestern Abend zwischen 18:00 und 23: 00 Uhr?«
»Ich war shoppen. In zwei Geschäften auf der Marktstraße.«
»Bis um 23 Uhr? So lange?«
Sie lächelte. »Ich mag es gerne etwas exklusiver. Daher darf ich nach den Öffnungszeiten in diesen Läden einkaufen.«
»Kann das irgend jemand bezeugen?«
»Fragen Sie die Verkäuferinnen, sie dürften sich alle gut an mich erinnern. Ich habe ein kleines Vermögen dort gelassen.«
»Gut. Vielen Dank für Ihre Geduld. Wir würden uns dann gegebenenfalls nochmal bei Ihnen melden, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Etwas dagegen? Wie könnte ich! Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
Sie gingen den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren. Vorbei an den Gemälden. Als sie schon wieder auf dem Schotterweg waren, drehten sie sich nochmals zu Michelle Karstensen um. Die Witwe stand im Türrahmen und nippte an ihrem Glas.
6.
Es war enttäuschend. Seeberg war alleine im Büro und hatte darauf gehofft, dass er bei der Durchsicht der alten Akten zum Mord im Rhön Park Hotel vielleicht eine neue Erkenntnis gewinnen würde. Eine Kleinigkeit, die ihm damals entgangen war. Ein Indiz, das durch den jetzigen Mord vielleicht in einen anderen Zusammenhang gebracht werden konnte und eine Spur versprach. Doch weder der Bericht des Rechtsmediziners noch die Vernehmungsprotokolle der spärlichen Zeugenaussagen ergaben eine Verbindung vom Fall Pogatetz zum Fall Karstensen. Außer, dass beiden nackten Opfern vor dem Mord eine Substanz verabreicht worden war, sie anale Wunden aufwiesen und mit Messerstichen übersät waren, gab es keinerlei Hinweise. Leider hatte man Pogatetz damals erst einige Tage nach der Tat gefunden. Einige Spuren waren dadurch nicht mehr verwertbar gewesen.
Der Kommissar griff in eine weitere Akte, auf dermit schwarzem Filzstift die Worte »Fotos/Fundort Pogatetz« geschrieben standen. Er breitete die Aufnahmen vor sich in vier Reihen auf dem Schreibtisch aus. Die erste Reihe zeigte den nackten Körper Pogatetz’ auf dem Bett. Mit aufgerissenen Augen lag er mit weit ausgestreckten Armen auf der Bettdecke. Seeberg kniff die Augen zusammen.
»Mist«, fluchte er. Seine Sehkraft hatte in der letzten Zeit deutlich abgenommen. In den letzten Jahren war es seine Eitelkeit gewesen, die ihn davon abgehalten hatte, eine Brille zu tragen. Nun war es ihm gleichgültig geworden. Eine Sehhilfe wäre jetzt hilfreich gewesen.
»Wo hast du deine blöde Lupe?«, murmelte er vor sich hin und suchte in den Schubladen des Schreibtischs von Kohler. Seeberg wusste, dass dieser bei Fotosichtungen stets eine große Lupe zur Hand hatte. Die Kollegen hatten ihn dahingehend immer wieder aufgezogen und ihn scherzhaft als Blinden Maulwurf oder Sherlock Holmes für Arme bezeichnet. Zu seinem sechzigsten Geburtstag hatten die Kollegen zusammengelegt und ihm sogar eine Sherlock-Holmes-Mütze und eine Pfeife geschenkt. »Ah, da bist du ja.« Seeberg zog die Lupe aus einer Lederschutzhülle und begutachtete die einzelnen Fotos nun durch das Vergrößerungsglas. Auch die zweite Reihe der Fotos, die das Hotelzimmer zeigten, in dem der Mord stattgefundenhatte, zeigte keine neuen Auffälligkeiten. Das zerwühlte Bett, Pogatetz’ akkurat zusammengelegte Kleider auf dem beigefarbenen Teppichboden, daneben eine bodentiefe Vase mit einer großen, roten Blume darin. Über dem Bett hing die Kaufhauskopie eines Gemäldes von Wassily Kandinsky, daneben befanden sich ein kleiner Schreibtisch mit Telefon und Lampe. Nichts, was man nicht auch in jedem anderen x-beliebigen Hotel finden konnte. Der Kommissar legte die Lupe beiseite und rieb sich die schmerzenden Augen.
»Wie war das damals noch mal?«
Seeberg vergrub sein Gesicht in beiden Händen und versuchte sich zu erinnern. Die Bilder bauten sich zunächst nur langsam vor ihm auf, doch dann gewannen sie immer mehr an Kontur. Es war heiß gewesen, sehr heiß. Er erinnerte sich daran, dass die Luft flirrend heiß über dem Asphalt schimmerte, als er seinen Wagen direkt vor dem Eingang des Hotels parkte. Vor dem Hotel übergab sich ein junger Kollege, der neu im Dezernat war.
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