Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
Fotos. Es mussten Dutzende sein. Sie zeugten von dem bewegten Leben ihres Ehemanns. Safaris in Afrika und Skifahren in der Schweiz. Sie selbst war auf den wenigsten Fotos zu erkennen. Meist lächelte Ferdinand Karstensen mit Freunden und anderen Frauen darauf in die Kamera. »Was denken Sie, wie viele seiner Kollegen und Freunde anrufen werden, um ihr Mitleid zu heucheln. Ganz zu schweigen von dem ganzen Papierkram, der nun auf mich zukommt.«
»Sie trauern also nicht um Ihren Ehemann?«
Die Witwe nahm einen großen Schluck Rotwein. Dann setzte sie das Glas ab.
»So etwas gehört sich wohl nicht in unserer Gesellschaft, nicht wahr? Bin ich dadurch jetzt eine böse Ehefrau? Oder sogar verdächtig?«
»Sagen Sie es uns.«
Sie lachte laut auf.
»Ha, ich kann ja nicht einmal einen Regenwurm bei der Gartenarbeit anfassen. Wie soll ich da jemandemetwas antun, geschweige denn einen Menschen ermorden? Aber wenn Sie mich fragen, ob Ferdi den Tod verdient hat, dann muss ich Ihnen sagen, dass er ein Schwein war, beruflich wie privat.«
Die beiden Kollegen wechselten einen irritierten Blick.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber darf ich fragen, warum eine so attraktive und junge Frau einen Mann wie Karstensen geheiratet hat?«, schaltete sich nun auch Freitag in das Gespräch ein.
Die Frage schien der Dame des Hauses nichts auszumachen. Im Gegenteil, sie wirkte amüsiert, ja beinahe geschmeichelt und sah Freitag durchdringend an.
»Weil ich damals eine junge, dumme Göre war, die ihre große Chance sah. Wissen Sie, ich komme aus eher bescheidenen Verhältnissen und hatte selbst keine allzu schöne Kindheit. Familie war für mich immer nur ein Begriff, den ich aus dem Fernsehen kannte, und da dachte ich, dass dies meine Schneewittchengeschichte werden würde. Cinderella, Sie verstehen?«
Die Beamtin nickte. »Ja, ich verstehe. Aber es wurde kein Märchen?«
Michelle Karstensen sah zu Boden, während sie wie zu sich selbst weitersprach.
»Ferdi wollte keine Ehefrau, er wollte vielmehr einfachnur eine blutjunge Hure, über die er verfügen konnte, wie er wollte und wann er wollte. Eine Frau, mit der er sich auf Partys brüsten konnte und um die ihn seine Freunde beneiden. Das Märchen war jedenfalls sehr schnell vorbei.«
»Hat er Sie …«
»… vergewaltigt?« Die Witwe blickte auf. »Meinen Sie das?«
Freitag nickte.
»Jeder Sex mit Ferdi glich einer Vergewaltigung. Aber irgendwann merkt man es nicht mehr, man stumpft ab und lässt es über sich ergehen. Ich war schon immer gut darin, abzustumpfen.« Michelle Karstensen stand auf und füllte ihr Glas. »Wollen Sie wirklich nichts?«
Erneut lehnten beide Beamten ab. Julia Freitag schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ammer fing sich schneller als seine Kollegin und übernahm wieder die Befragung.
»Wie lange waren Sie und Ihr Ehemann verheiratet?«
»Neun lange, qualvolle Jahre. Ich habe ihn mit zweiundzwanzig kennengelernt, da war er schon über fünfzig.«
»Gab es andere Liebhaber in Ihrem Leben?« Es war Ammer sichtlich unangenehm, der attraktiven Witwe diese Frage zu stellen. »Verzeihen Sie die indiskreteFrage, aber meist suchen sich vernachlässigte Partner eine andere Person, der man sich öffnen kann. Vielleicht bringt uns das auf eine Spur.«
»Wenn Sie mich fragen, ob ich jemals während unserer Ehe etwas mit einem anderen Mann hatte, so ist die Antwort nein. Der ekelhafte Sex mit Ferdi war mir schon mehr als genug. Da war meine Lust auf andere Männer nicht allzu groß.«
Sie sah zunächst Ammer tief in die Augen, dann wechselte ihr Blicke zu Freitag.
»Und Ihr Mann? Hatte er jemals eine Affäre?«
»Eine?« Ihre Augen wanderten durch den Raum, als würde sie dort irgendwo die genaue Anzahl der Gespielinnen ihres Mannes finden. »Dutzende, aber nie etwas Festes. Meist Nutten und junge Dinger, die sich in irgendeiner Bar von ihm und seinen Freunden aushalten ließen. Manchmal war er auch für ein, zwei Tage verschwunden. Ich will gar nicht wissen, wo er in dieser Zeit war und was er da alles getrieben hat.«
Ammer notierte sich stichpunktartig die Aussagen der Witwe in einen kleinen Notizblock.
»Wie sieht es mit Feinden aus? Gab es jemanden, der ihm nicht wohlgesinnt war?«
Wieder lachte Frau Karstensen auf. Allerdings klang es künstlicher als zuvor.
»Ob er Feinde hatte? Fragen Sie mich lieber, wer ihn nicht lieber tot als lebendig sehen wollte. Selbstseine sogenannten Freunde konnten ihn nicht ausstehen. Sie hatten nur
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