Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
Beruf darum, Verbrecher und Mörder zu verhaften. Die Gesellschaft kann es sich nicht erlauben, dass auch nur ein einziger frei herumläuft, nur weil die Polizei einen Fehler gemacht hat.«
Natürlich weiß ich das auch, dachte er. Und wenn er ganz ehrlich war, hatte er keine Antwort auf die Frage der Psychologin. Doch er wollte diesen Fall lösen. Das war ihm in den letzten Tagen klargeworden.
»Wissen Sie, Frau Doktor Hellmich. Ich habe eines in all den Jahren gelernt. Man kann sich auf noch so viele Situationen durch theoretisches Training vorbereiten. Aber den Instinkt hat man, oder man hat man ihn nicht. Und wenn man ihn hat, kann man ihn auch nicht mehr ausstellen. Selbst wenn man es gerne möchte. Er ist angeboren wie die eigene Stimme oder die Augenfarbe.«
»Interessant.« Frau Doktor Hellmich notierte erneut etwas auf dem Schreibblock vor ihr. Seeberg beobachtete sie dabei. Sie hatte schöne Hände. Er schüttelte den Gedanken rasch ab. »Und wie sieht es mit dem Druck der Öffentlichkeit aus? Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was los ist, wenn Sie versagen und Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, dass man eventuell auf einen labilen Beamten gesetzt hat. Man würde die Schuld auf Sie schieben.«
Seeberg war sich nicht sicher, warum sie versuchte, ihn zu provozieren. War es ein besonderer Test oder die normale Arbeit einer Psychologin? Er entschied sich, ruhig zu bleiben.
»Nein, das brauchen Sie nicht zu erklären. Ebensowenig, wie ich Ihnen wohl nicht erklären muss, dass das in meiner Lebenssituation meine geringste Angst darstellt. Was soll mir die Presse schon nehmen? Meine Privatsphäre? Meinen Stolz? Mein Ego? Denken Sie wirklich, dass mir das noch wichtig ist?«
»Wohl kaum.«
»Hören Sie, ich weiß, warum ich hier bin und auf was ich mich da einlasse. Es ist nicht nur, weil ich den Fall, an dem wir gerade arbeiten, am besten kenne. Nein. Es geht auch darum, dass man in mir ein Bauernopfer hat, wenn man scheitert.«
»Was meinen Sie damit?« Sie zögerte und verengte ihre Augen.
»Sie kennen die Hierarchien hier im Haus, Frau Hellmich. Bornemann hat das gut eingefädelt. Er kann nur gewinnen. Schaffen wir es, den Täter zu finden, ist er der gefeierte Mann, der die Courage hatte, mich zurückzuholen. Scheitern wir, wird er Kohler frühzeitig in Rente schicken und mich umgehend entlassen. Damit ist er mich dann endgültig los. Ich bin mir nicht einmal sicher, welche der genanntenOptionen ihm lieber ist. Er spielt dieses Spiel ziemlich gut, nicht wahr?«
Hellmich konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch in ihrem Ansehen schien der zweitoberste Beamte keine besondere Stellung zu genießen.
»Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben.«
»Natürlich nicht.« Auch Seeberg schmunzelte. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er das gerne tat. »Aber Sie sehen: Ich habe nichts zu verlieren. Ich will keine Karriere machen, und ich habe auch sonst keine Ambitionen mehr. Das macht mich zum perfekten Jäger unseres Täters.«
»Ja«, pflichtete Hellmich bei. »Aber es macht Sie nicht nur für den Täter unberechenbar und gefährlich. Wir benötigen keinen schießwütigen Sheriff, sondern einen möglichst abgeklärten Ermittler mit wachem Verstand.«
»Das müssen Sie entscheiden.« Der Kommissar ließ die Psychologin nicht aus den Augen. »Denken Sie, dass ich ein Psychopath bin, der in der nächstbesten Situation seine Waffe zieht und wild um sich ballert und Zivilisten gefährdet? Oder bin ich einfach nur ein gebrochener Mann, dessen Tochter ermordet wurde, aber der noch immer den intakten Instinkt besitzt, um einen Serienmörder zu fassen?«
Die Psychologin sah Seeberg lange an und hielt seinem Blick stand. Unter anderen Umständen hätteman vermuten können, dass die beiden miteinander flirten würden. Schließlich gab sie dem Blick nach, legte den Stift zur Seite und lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück. Dann lächelte sie wissend, als hätte sie tatsächlich etwas in ihm erkannt.
»Danke, dass Sie auf einen Kaffee vorbeigekommen sind, Herr Seeberg. Ich möchte Sie nun nicht länger von ihrer Arbeit abhalten.«
»Das war’s?« Der Kommissar war überrascht, wie einfach es letztendlich gewesen war, die Psychologin davon zu überzeugen, dass er dienstfähig war.
»Nun, Sie machen mir keinen verstörten Eindruck. Aber ich möchte Sie dennoch regelmäßig sehen.« Die Psychologin schob ihm ihre Visitenkarte über den Tisch. »Ich möchte, dass wir uns in
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