Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
Sache.«
»Vielleicht können Sie uns dabei helfen, den Fall aufzuklären.«
»Ich?«
»Bestreiten Sie etwa, das Opfer gekannt zu haben?«
Nancy zögerte. »Ist das ein Verhör, und muss ich noch weitere Namen meiner Kunden preisgeben? Dann würde ich nämlich vorher gerne mit meinem Anwalt darüber sprechen.«
»Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Aber mir geht es eigentlich nicht um Ihre Tätigkeit. Es geht mir nur um Ihr letztes Treffen vor einigen Tagen. Da waren Sie doch zu Gast in der Villa Karstensen, nicht wahr?«
Erneut zögerte die junge Frau. »Versprechen Sie mir, dass das, was wir besprechen, unter uns bleibt? Ich möchte nicht vor Gericht aussagen müssen.«
»Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Aber ich kann Ihnen zusagen, dass unser Treffen hier nichts weiter als ein Gespräch ist.«
»Also gut.«
»Nancy, ich darf Sie doch so nennen?«
»Gerne. So nennen mich schließlich alle.« Nancy lächelte über den Rand ihrer Kaffeetasse, wo sich sogleich ein Lippenstiftrand abzeichnete.
»Sie waren also öfter in der Villa Karstensen.«
»Gelegentlich. Aber wir trafen uns nicht nur dort. Manchmal begegneten wir uns in Hotels oder in meinem Apartment in der Innenstadt, wo ich viele meiner Kunden treffe.«
»Wo ist das genau?«
»In der Heinrichstraße. Sie kennen die Hochhäuser dort? Es ist sehr zentral und wunderbar anonym.« Die junge Dame griff in ihre Handtasche und überreichte dem Kommissar eine Visitenkarte von sich. »Ich hoffe zwar, dass wir uns nicht mehr unterhalten müssen, aber falls doch, dann kontaktieren Sie mich bitte über diese Handynummer.«
Neben der Nummer standen ihr Name, die Adresse des Apartments mit der Hausnummer 60 und der Hinweis auf der Karte, dass Termine nur nach vorheriger Absprache erfolgten.
»Danke.« Seeberg steckte die Karte ein. »Wie oft fanden diese Treffen statt?«
Die junge Frau trank einen Schluck Kaffee und überlegte. »So zwei- bis dreimal im Monat.«
»Verliefen die Treffen irgendwie sonderbar?«
»Was meinen Sie?«
»Naja, wurden vielleicht bestimmte Praktiken verlangt, die ungewöhnlich waren? Dinge, die Sie befremdlich fanden?«
Nancy kicherte.
»Was ist daran so lustig?«
»Sie haben ja keine Ahnung, was Kunden alles für Phantasien und Wünsche haben. Ich bin zwar noch jung, aber schon lange genug in dem Business tätig, dass mir nichts mehr merkwürdig vorkommt.«
»Verstehe. Also gab es während der Treffen außergewöhnliche Praktiken?«
»Ein wenig dominante Spiele, aber nichts wirklich Schlimmes.«
»Dominante Spiele«, wiederholte Seeberg. »Kommen wir zum letzten Treffen. War da irgendwie etwas seltsam? Ging der Sex an diesem Tag vielleicht sogar in den Bereich von pädophilen Phantasien?«
»Pädophile Phantasien? Nein, bestimmt nicht. Die Treffen verliefen meistens sehr ruhig und angenehm.«
Den Kommissar wunderte das. Nach den Erzählungen von Ammer und Freitag hatte Michelle Karstensenda andere Äußerungen zu gemacht. Hatte sie nicht sogar behauptet, dass jeder Sex mit ihrem Mann einer Vergewaltigung glich?
»Sie wirken überrascht, Herr Kommissar.«
»Ja, in der Tat. Ich hatte etwas anderes erwartet. Unsere Hinweise zielten eher darauf ab, dass Ferdinand Karstensen eher den harten, rabiaten Sex bevorzugte. Ruhig und angenehm passt da nicht in unser Bild.«
»Ferdinand Karstensen?«, wunderte sich Nancy.
»Ja. Ihr Freier.«
Das Callgirl lächelte den Kommissar überrascht an. Dann schüttelte sie vehement ihre dunkle Mähne.
»Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Herr Karstensen war nie Kunde von mir.«
»Aber Sie sagten doch, dass sie öfter im Haus der Karstensens zu Gast waren.«
»Ja, schon. Aber nicht Herr Karstensen war mein Kunde, sondern seine Frau.«
»Was?«
»Ich dachte, es ginge hier um sie.«
»Michelle Karstensen?«
»Ja. Ganz genau.« Nancy umschloss wieder die wärmende Tasse mit beiden Händen. »Sie stand seit Jahren nicht mehr auf Männer. Sie sagte einmal zu mir, dass Männer ihr zu rabiat seien und sie in ihrerEhe nur Ekel am Sex empfunden habe. Daher zog sie es vor, Sex mit Frauen zu haben. Sie stand auf Frauen. Wussten Sie das nicht?«
»Nein, das wusste ich nicht. Aber es erklärt einiges.«
27.
Die Gedanken ließen ihn nicht los. Er hatte geschlafen, nur wie lange, war ihm nicht klar. Drei Stunden? Vier? Er fühlte sich jedenfalls nicht ausgeschlafen. Er ging ins Bad und hielt seinen Kopf unter kaltes Wasser. Dann saß er im Wohnzimmer und starrte zu Boden. Neben
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