Rhosmari - Retterin der Feen
euch ineinander verliebt habt, du und Paul« – beinahe wäre sie ins Stottern geraten, doch sie fing sich gerade noch –, »aber wie genau ist es dazu gekommen?«
Peri warf Timothy einen Blick zu. »Du kannst gern gehen und noch etwas üben«, sagte sie. »Die Geschichte hängt dir bestimmt schon zum Hals heraus.«
»Keineswegs«, erwiderte Timothy. Er schlug die Beine übereinander und verschränkte die Hände auf dem Bauch. »Erzähl uns eine Geschichte, Tante Peri.«
Gingen Menschen so mit Situationen um, in denen eine unerträgliche Spannung herrschte – indem sie Witze machten? Rhosmari konnte nur staunen, wie abgebrüht sie offenbar waren. Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da begann Peri zu schildern, wie sie vor dreißig Jahren in der Eiche aus einem magischen Ei geschlüpft und zu einer wilden, unter dem Namen Klinge bekannten Jägerin herangewachsen war.
Es war eine erstaunliche lange und komplizierte Geschichte. Rhosmari hatte die Aufzeichnungen der Feen und Heides Tagebücher ja bereits gelesen und wusste deshalb, was Jasmin den Eichenfeen angetan hatte – Klinge dagegen hatte die Wahrheit über die Geschichte ihres Volkes erst mühsam und auf gefährlichen Wegen herausfinden müssen. Königin Amaryllis hatte sie dabei auf Schritt und Tritt behindert. Und in dieser Zeit hatte Klinge durch einen Zufall Paul kennengelernt. Sie hätte sich allerdings nie träumen lassen, dass ihr gemeinsames Interesse für Kunst sie über eine verbotene Freundschaft hinaus zu einer noch viel verboteneren Liebe führen würde.
Als Peri geendet hatte, war Rhosmari zumute, als erwache sie aus einem sehr lebendigen Traum. Sie brauchte eine Weile, um sich zu orientieren, dann sagte sie: »Königin Amaryllis wollte also, dass du Paul wieder vergisst, aber es ging nicht?«
»Richtig, genauso wenig wie Heide Philip vergessen konnte, obwohl Jasmin es wollte«, sagte Peri.
»Aber wie war das möglich? Ihr hattet doch beide keine Zauberkraft, mit der ihr euch hättet wehren können. Wenn Jasmins Zauber bei allen Feen die Erinnerung löschte, warum dann bei euch nicht?«
»Gute Frage«, meinte Peri. »Was glaubst du?«
»Die Macht der Liebe?«, fragte Timothy, aber er klang skeptisch. »Entschuldigung, ich will mich nicht über deine Gefühle lustig machen, aber das klingt irgendwie ein wenig …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
Peri lachte kurz auf. »Ja, nicht wahr? Nein, es ist auch nicht die richtige Antwort, obwohl es mit ein Grund war.« Sie wurde wieder ernst. »Ich liebte Paul, ja. Das allein hätte allerdings noch nicht den Ausschlag gegeben. Aber ich habe ihm so vertraut, dass ich ihm meinen Namen gegeben habe. Meinen wahren Namen.«
Rhosmari hatte das Gefühl, als drücke auf einmal ein schweres Gewicht auf ihre Brust. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und kleine Schauer überliefen sie. »Du …«, flüsterte sie. Sie musste sich zwingen, weiterzusprechen. »Du hast ihm deinen Namen gegeben, als du noch eine Fee warst? Obwohl du wusstest, dass er dich damit in der Hand hat?«
»Ja«, sagte Peri. »Er sollte wissen, wie viel er mir bedeutete, auch wenn ich fürchten musste, ihn vielleicht nie mehr zu sehen. Genau wie Heide, die Philip ihren Namen gegeben hat, als …«
Timothy setzte sich mit einem Ruck auf. »Peri, ich glaube, Rhosmari ist schlecht.«
»Nein«, murmelte Rhosmari erstickt. »Es ist nur … ich brauche einen Augenblick.« Sie atmete durch die Finger ein, bis die schlimmste Übelkeit sich gelegt hatte, dann schlang sie die Arme um den Bauch und wiegte sich hin und her. Timothy rutschte näher an sie heran und hob die Hand, um sie ihr auf die Schulter zu legen, doch sie schüttelte den Kopf und er zog die Hand wieder zurück.
»Entschuldigung«, sagte Peri ein wenig verblüfft. »Ich wusste ja nicht, wie sehr dich das mitnimmt.«
Nein, dachte Rhosmari und schluckte ihren Neid hinunter wie bittere Galle, das wusstest du nicht . Wenn Peri oder Heide gewusst hätten, wie es war, der Sklave eines anderen zu sein, hätten sie nicht im Traum daran gedacht, ihren Namen wegzugeben. Nur Unwissenheit – oder blinde Liebe – konnte ihre Bereitschaft erklären, ein so furchtbares Risiko einzugehen.
»Peri!«, dröhnte Pauls tiefe Stimme durch den Flur. »Dorna schickt ein Leuchtsignal.«
Peri drückte Timothy das Fernglas in die Hand. »Du hältst hier Wache«, sagte sie und eilte hinaus.
Timothy wälzte sich vom Bett, ging zum Fenster und schob den Vorhang beiseite. »Ich weiß
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