Richard Castle
Umweg um einen abgesperrten Bereich auf der Dyckman Street nehmen mussten, der auf ein Gasleck als Folge des Erdbebens zurückging, schafften sie es immer noch in Rekordzeit zu Nicole Bernardins Wohnung im nördlichsten Teil Manhattans. Ihr Wohngebäude, ein schmales zweistöckiges Stadthaus direkt gegenüber dem Inwood Hill Park, wäre auf der Liste eines Immobilienmaklers als Objekt im charmanten Tudor-Stil geführt worden. Die Gegend wirkte sicher und gut gepflegt, die Art von ruhiger Straße, in der die Leute Autoabdeckungen aus Pappe verwendeten und die halbhohen Mauern, die die Veranden umgaben, immer wie frisch gestrichen glänzten. Heat und Rook betraten das Haus und fanden dort ein vollkommen anderes Bild vor.
In welche Richtung sie im Foyer im Erdgeschoss auch sahen, bot sich ihnen alarmierende Unordnung. Vitrinen und Schranktüren standen offen. Gemälde und Bilder waren von ihren Aufhängungen gerissen worden und hingen schief an den Wänden. Die zerstörten Rahmen baumelten gegen die Vertäfelung und die Türrahmen. Ein antikes Porzellanschränkchen im Esszimmer lag aufgebrochen auf der Seite, und das zersplitterte Geschirr aus Kristallglas umgab es wie Eisstückchen. Verstreute Dekorationsgegenstände bedeckten den Boden, als ob die ganze Wohnung durchgeschüttelt worden wäre. „Sag mir, dass das nicht das Erdbeben war“, bat Rook.
Detective Heat streifte sich ein paar blaue Handschuhe über. Raley reichte ihm ebenfalls ein Paar und sagte: „Nicht sofern das Erdbeben nicht herumgelaufen ist und alles mit seinen Arbeitsstiefeln in Größe fünfundvierzig zertreten hat.“
Durch das verwüstete Haus zu gehen, hüllte Nikki in eine weitere Wolke aus Déjà-vus. Ihre eigene Wohnung – einst der Tatort für den Mord an ihrer Mutter – hatte man damals auch auf den Kopf gestellt, obwohl sie nicht so gründlich zerstört worden war. Detective Damon hatte es als unterbrochene Durchsuchung bezeichnet. Die Durchsuchung in dieser Wohnung war eindeutig ohne Pause durchgeführt worden, bis der Täter entweder gefunden hatte, wonach er suchte, oder erkennen musste, dass er es niemals finden würde.
Ochoa fing sie an der Tür ab, als sie das Schlafzimmer im oberen Stock betrat. Während sie um den Fingerabdruckexperten herumgingen, der den geschliffenen gläsernen Türknauf mit Staub bepinselte, fragte sie ihren Detective: „Irgendwelche Anzeichen von Blut?“
Er schüttelte den Kopf und erwiderte: „Auch keine offensichtlichen Hinweise auf einen Kampf. Obwohl ich nicht weiß, wie man das bei diesem Durcheinander jemals hundertprozentig feststellen sollte.“
„Ich kann Ihnen etwa neunundneunzig Komma neun Prozent geben, falls das weiterhilft“, sagte der Leiter der Einheit für Beweissicherung, Benigno DeJesus, als er sich aus seiner knienden Position von einem Teppich hinter einer durch den Raum geschleuderten Matratze erhob. Nikkis Schultern entspannten sich sofort, als sie ihn sah. Der Tatort befand sich in den besten Händen.
„Detective DeJesus“, sagte sie. „Welchem Umstand verdanken wir diese Ehre an einem Sonntag?“
Er zog seinen Mundschutz herunter und lächelte. „Ich weiß nicht. Ich hatte einen ereignislosen Tag geplant, als Detective Ochoa anrief, um mir von diesem Fall zu erzählen, der …“ Er hielt inne und fuhr dann mit der für ihn typischen Untertreibung fort: „Von einigem Interesse sein könnte. Also bin ich hier.“ Sie warf Ochoa einen kurzen Blick zu und fragte sich, welchen Gefallen Miguel eingefordert hatte, um den besten Beweismittelexperten des Dezernats an einem freien Tag für den Fall zu gewinnen, aber Oachs stoisches Gesicht verriet nichts.
DeJesus verschaffte ihr und Rook eine Übersichtsführung durch das Haus. Seine vorläufige Einschätzung lautete, dass die Unordnung auf eine Besitzdurchsuchung ohne damit verbundenen Angriff zurückzuführen war. Er deutete auf das zweite Schlafzimmer, in dem sich Nicole Bernardin ein Büro eingerichtet hatte. Dort war die Verwüstung am schlimmsten. Er benutzte eine Minitaschenlampe, um ihnen die vier kleinen runden Stellen zu zeigen, auf denen sich die Gumminoppen des Laptops befunden hatten, bevor er mitgenommen worden war. Das Ladekabel sowie das USB-Kabel zu der fehlenden externen Festplatte waren alle noch dort, wo sie einmal mit dem Computer verbunden gewesen waren. Schreibtischschubladen und Aktenordner lagen offen und leer da, abgesehen von ein paar vereinzelten Büroartikeln. „Das offensichtliche Maß an
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