Richard Castle
zischte er. „Ist das nicht großartig?!!“ Dieses Mal hatte er die Augen tatsächlich weit aufgerissen wie ein Irrer. Nikki sah sich peinlich berührt um, doch niemand im Café hatte es bemerkt. Selbst der Mann auf dem Bürgersteig, der seine selbstgedrehte Zigarette rauchte, hatte ihnen den Rücken seines blauen Anzugs zugedreht. Rook erschreckte Nikki, indem er nach ihrem Ellbogen griff. „Oh, ich weiß!“ Er schnippte mit den Fingern und deutete auf sie. „Tyler Wynn, der – Anführungszeichen – internationale Investmentbanker, benutzte deine Mutter genauso wie seinen falschen Job. Als Tarnung. Er tat so, als wäre er ihr Liebhaber.“ Er hielt inne. „Genau, ich sagte: Er ‚tat so‘. Und deswegen hat Cindy alles aufgegeben und zog zurück in die Staaten, als sie deinen Vater heiratete.“
Heat trank ihren Kaffee aus und schob einen Euro unter den Rand der Untertasse. „Rook, eines solltest du wissen: Es gibt einen Unterschied zwischen unkonventionellem Denken und vollkommenem Wahnsinn.“
Auf dem Weg zurück zum Hotel redete er die ganze Zeit über auf sie ein, und einen Punkt seiner Logik konnte selbst sie nicht einfach so widerlegen. Sie waren nach Paris gekommen, um herauszufinden, was die Veränderung im Leben ihrer Mutter bewirkt hatte, und da Tyler Wynn darin offenbar eine wichtige Rolle gespielt hatte – ob er nun ein Spion war oder nicht –, wäre es nachlässig von ihnen, nicht nachzuforschen, ob es Onkel Tyler noch gab und ob man mit ihm reden konnte. „Oder geht dir das zu nah?“, wollte er wissen. Ein kluger Schachzug von Rook, denn selbst wenn es so wäre, sorgte der herausfordernde Unterton seiner Frage dafür, dass sie unmöglich einen Rückzieher machen konnte.
In ihrem Hotelzimmer lief Rook auf und ab und überlegte laut, wie sie die Überprüfung von Tyler Wynn am besten angehen sollten. „Ich habe hier in Europa immer noch ein paar brauchbare geheime Kontakte aus der Zeit, als ich an meinem Russland-Tschetschenien-Artikel gearbeitet habe. Außerdem schulden mir die CIA und die NSA noch ein paar Gefallen. Nein, warte … Vielleicht sollten wir lieber schrittweise vorgehen und es mit einer allgemeinen Nachfrage über die US-Botschaft probieren … Oder vielleicht Interpol. Andererseits“, plapperte er weiter und tigerte dabei unentwegt hin und her, „ist diese Angelegenheit potenziell wichtig genug, dass wir uns auch gleich an die DCRI wenden könnten – das ist das französische Äquivalent zur CIA, falls du das nicht wusstest.“ Er bemerkte, dass Nikki sich ihr Handy ans Ohr hielt. „Wen rufst du an?“
Sie hielt einen Finger hoch, um ihm zu signalisieren, dass er still sein sollte.
„Bonjour
, Madame Bernardin?
C’est
Nikki Heat. Zuerst einmal möchte ich Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und die wundervollen Fotos danken. Ich bin so froh, sie zu haben.“ Sie nickte und sagte: „Sie ebenfalls. Ich hatte gehofft, Sie um einen Gefallen bitten zu dürfen. Haben Sie die Telefonnummer von Tyler Wynn?“ Heat lächelte Rook zu und machte sich daran, die Nummer aufzuschreiben.
Als sie auflegte, sagte er: „Tja, natürlich kann man auch die Faulpelzvariante wählen, wenn man es sich unbedingt leicht machen will. Für mich ist das nichts. Das fühlt sich an, als würde man schummeln.“
Nikki hielt ihren Notizblock mit Wynns Telefonnummer darauf hoch. „Also soll ich ihn nicht anrufen?“
„Willst du Spielchen spielen oder diesen Fall ausnahmsweise mal ernst nehmen?“, entgegnete er.
Ihr Anruf begann auf Französisch, doch die Person, die ihn entgegennahm, sprach offenbar Englisch. Als Rook ihre schockierte Reaktion sah, als sie fragte, ob sie mit Tyler Wynn sprechen könne, eilte er von seinem Platz am Fenster zu ihr hinüber und setzte sich neben sie auf die Bettkante. „Das ist furchtbar“, sagte sie. Rook wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum und wiederholte stumm immer wieder „Was?“ wie ein nerviger Jugendlicher. Sie wandte sich von ihm ab, damit sie sich konzentrieren konnte, murmelte ein paar Mal „Hm-mm“, fragte nach einer Adresse, die sie sich aufschrieb, dankte der Person am anderen Ende der Leitung und legte auf.
„Komm schon, raus damit. Was ist furchtbar?“
„Tyler Wynn befindet sich im Krankenhaus“, sagte Nikki. „Jemand hat versucht, ihn umzubringen.“
Rook sprang auf und drehte sich im Kreis. „Das. Ist der coolste. Hinweis. Aller Zeiten.“
ZEHN
Der Taxifahrer kannte den Ort, das Hôpital Canard im westlichen Vorort
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