Richard Castle
Nikki, dass ihre Mutter, Cynthia Heat, „Onkel Tyler“ sehr nah gestanden habe und dass der Angriff auf ihn mit einem Mordfall zusammenhängen könnte, den sie zu Hause in den Staaten bearbeite. Der Gendarme wirkte interessiert, blieb aber beharrlich. Bis er die schwache Stimme des alten Mannes durch die offene Tür des Raums hörte.
„Sagten Sie … sie seien Cindy Heats Tochter?“
„Ja, Mr. Wynn“, erwiderte sie in Richtung des blassgelben Vorhangs. „Ich bin Nikki Heat, und ich bin hier, weil ich zu Ihnen möchte.“
Nach einer Pause und einem furchtbaren Hustenanfall sagte die körperlose Stimme: „Lassen Sie sie rein.“ Die Augen des Polizisten zuckten zur Seite, da er auf dieses Szenario nicht vorbereitet zu sein schien. Schließlich warf er noch einmal einen Blick auf Nikkis Ausweis, gab ihn ihr zurück und trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. Als sie und Rook das Zimmer betraten, konnten sie hören, wie der Polizist jemanden über sein Funkgerät kontaktierte, um sich abzusichern.
Der Anblick hinter dem Vorhang rief in Nikki Erinnerungen an den vergangenen Februar im St. Luke’s Roosevelt hervor, wo Rooks Leben am seidenen Faden gehangen hatte, nachdem er angeschossen worden war. Der gebrechlich wirkende Tyler Wynn lag auf der Seite im Bett, damit die linke Hälfte seines Rückens nicht die Matratze berührte. Er schaute ihnen aus benommenen halb geschlossenen Augen entgegen. Dann gelang es ihm, seine trockenen rissigen Lippen zu einem schwachen Lächeln zu verziehen. „Mein Gott“, sagte er. „Sehen Sie sich nur an. Es ist, als wäre ich gestorben und in den Himmel gekommen, um dort meine liebe Cindy wiederzusehen.“ Und dann blitzte ein schelmisches Funkeln in seinen Augen auf. „Ich bin immer noch am Leben, nicht wahr?“ Er lachte, doch das provozierte einen heftigen schmerzhaften Hustenanfall. Er hob seine Hand, um ihnen anzuzeigen, dass sie sich keine Sorgen machen mussten, und als der Husten nachließ, atmete er etwas Sauerstoff aus dem durchsichtigen Röhrchen unter seine Nase ein. „Bitte, setzen Sie sich.“
Es gab nur einen Stuhl, und Rook zog ihn für Nikki neben das Bett, wobei er darauf achtete, dem Knäuel aus Kabeln nicht zu nahe zu kommen, die unter Tylers Bettdecke hervorkamen und zu der Ansammlung aus Monitoren führten. Sie stellte Rook kurz vor, während dieser um das Fußende des Betts herumging und sich an das Fensterbrett lehnte. „Der Zeitschriftenautor?“, sagte Tyler. „Ich verstehe. Verzeihen Sie, dass ich nicht aufstehe.“ Er hob kurz beide Arme, die mit diversen Infusionsschläuchen verbunden waren. „Eine schlechte Kombination: drei Schusswunden und ein schwaches Herz.“
„Sie geben uns Bescheid, wenn wir gehen und Sie in Ruhe lassen sollen, versprochen?“, sagte sie.
Tyler Wynn lächelte nur und erwiderte: „Sehen Sie sich all diese Maschinen an. Die Franzosen machen wirklich gern ein großes Spektakel aus allem, nicht wahr? Kochen, Kino, Sexskandale,
les hôpitaux
. Dieses Land hat die moderne Medizin perfektioniert, aber früher war es hier angeblich üblich, ohne Betäubung zu operieren. Sie haben sich nicht mal die Hände gewaschen. Also schätze ich, dass ich im Großen und Ganzen Glück gehabt habe.“ Er drehte seinen Kopf auf dem Kissen in ihre Richtung und starrte sie an. „Sagt Ihnen jeder, wie sehr Sie Ihrer Mutter ähneln?“
„Ständig. Es ist ein Kompliment.“
„Sie wissen es.“ Er betrachtete sie noch ein wenig länger und sagte: „Ich hörte, wie Sie meinem persönlichen Gendarme erklärten, dass Sie in einem Mordfall ermitteln.“
„Ja, ich arbeite für das NYPD.“
„Ich habe diesen Artikel gelesen.“ Er schaute mit hochgezogener Augenbraue zu Rook. „So wie es aussieht, haben Sie mehr als nur eine Verfasserzeile bekommen, junger Mann.“
„Ich kann mich nicht beklagen“, sagte er.
Es gab so vieles, worüber Nikki mit diesem Mann reden wollte, so viele Fragen, auf die sie Antworten hören wollte, um die Lücken in ihrer Verbindung zu ihrer Mutter auszufüllen. Und es gab auch einige Fragen, die zu stellen sie sich fürchtete. Doch ein Blick auf den alten Mann verriet ihr, dass dies kein langer Besuch sein würde. Sie beschloss, Prioritäten zu setzen und mit den wichtigsten Fragen zum Fall anzufangen. Es mochte unsensibel erscheinen, aber sie musste vor allem anderen immer noch eine Mordfallermittlung durchführen. Die anderen Fragen würden bis später oder bis zu ihrem nächsten Besuch warten
Weitere Kostenlose Bücher