Richard Dübell

sie verzaubert an und erkannte verspätet, dass die Erscheinung nicht in einer fremden Sprache gesprochen hatte, sondern in breitestem Sächsisch.
    »Mund zu«, sagte Flora.
    Connor eilte auf die Erscheinung zu und genoss eine lange Umarmung und einen noch längeren Kuss. Peter sah aus dem Augenwinkel, dass Flora breit grinste.
    »Darf ich euch Doreen vorstellen?«, sagte Connor. »Doreen kommt aus Wittenberg.«
    »War nicht zu überhören«, murmelte Flora, dann begrüßte sie Connors aktuelle Freundin mit einer freundschaftlichen Umarmung. Peter schüttelte Doreen die Hand. Sie war kaum geschminkt, dennoch waren ihre Wimpern dunkel und dicht, ihre Augenbrauen besaßen den richtigen eleganten Schwung, und ihr Teint war makellos. Peters Vater Daniel, der sich am Rand der Lichtung auf einem Baumstamm niedergelassen und ihre Probe mit aufmunternder Kritik begleitet hatte, kam ebenfalls herbei. Er strahlte Connors Freundin an und holte Atem. Peter zuckte innerlich zusammen, weil er erwartete, dass Daniel der jungen Frau irgendein abgeschmacktes Altmännerkompliment machen würde.
    Daniel sagte: »Aus Wittenberg? Das ist ja hochinteressant! Ich bin Daniel Bernward. Kennen Sie sich mit der Geschichte Ihrer Heimatstadt aus?«
    Doreen sagte mit dem gleichen Strahlen im Gesicht wie Daniel: »Nü, isch gloob schon, ne wohr?«, und Connor fügte hinzu: »Doreen ist die Beraterin für die Ausstellungen zum Luther-Jubiläum 2017 in Wittenberg.«
    »Gönnor hat morr übers Wöchnende ähnjeloodn«, sagte Doreen, und zu Daniel: »Morschn, Herr Bännwadt. Is morr een Vagniechn.«
    »Oh, bitte – ich bin Daniel!«, sagte Peters Vater.
    »Isch bin de Doreen. Was mechste wissen über Widdenborsch, Daaniel?«
    »Der Tag ist gerettet«, brummte Peter.
    Connors Verschleiß an Freundinnen war legendär. Wie er es machte, dass jede Einzelne von ihnen eine Schönheit war und dennoch stets freundlich, nett, uneitel und durch und durch sympathisch, war Peter ein Rätsel. Ein noch größeres Rätsel war der Umstand, dass keine von ihnen jemals aus Landshut stammte oder hier lebte. Flora, die Connor einige Jahre länger kannte als Peter, hatte ihm erzählt, dass die Frauen aus der ganzen Welt kamen. Doreen aus Wittenberg stammte im Vergleich geradezu aus der Nachbarschaft. Wie Connor, der nie in Urlaub fuhr und Landshut so gut wie niemals verließ, diese Frauen kennenlernte, war ein drittes Rätsel. Das größte Rätsel aber war, dass Connor, in dessen Bett in so gut wie allen Sprachen der Welt leidenschaftlich geflüstert worden war und der Haut in allen Farben und Schattierungen liebkost hatte, noch nie, seit Flora ihn kannte, eine Freundin aus seinem eigenen Heimatland Schottland gehabt hatte. Peter hatte sich nicht nur einmal gedacht, dass er irgendwann einmal, wenn er ganz viel Zeit hatte, Connors Geheimnissen mit polizeilichen Ermittlungsmethoden zu Leibe rücken müsse.
    Connor beendete die Probe nach zwei weiteren Durchgängen, in denen er keine neuen Einfälle gehabt hatte – vermutlich, weil seine Gedanken begannen, sich auf Doreen zu konzentrieren. Diese saß mit Daniel auf dem Baumstamm am Rand der Lichtung und redete mit Händen und Füßen, wenn nicht gerade Peters Vater am Zug war, der ebenfalls mit Händen und Füßen redete. Offenbar hatten sich zwei Seelen gefunden. Dann erhielt Connor einen Anruf auf seinem Mobiltelefon, und während er sich lautstark mit dem Lieferanten herumschlug, der anscheinend das Schwert des Geists des Herzogs nicht rechtzeitig liefern konnte, kam Flora zu Peter herüber. Peter hatte gerade festgestellt, dass der Baum, hinter dem er sich laut Connors letztem Regieeinfall versteckt hatte, voller Harz gewesen war und das meiste davon sich jetzt auf seiner Jacke befand, und zupfte resigniert an der Sauerei herum.
    »Was ist das?«, fragte Flora.
    »Harz«, brummte Peter. »Ab sofort darf ich mich nirgends mehr anlehnen, sonst bleibe ich kleben.«
    Flora zupfte ebenfalls. »Die schöne Lederjacke …«
    »Die alte Lederjacke …«
    »Das macht sie ja so schön.« Sie musterte Peter einen Moment lang. Er sah die Unentschlossenheit in ihrem Gesicht, doch dann zuckte sie mit den Schultern und kramte in ihrer Umhängetasche. Sie zog eine Slipeinlage heraus. Peter, der diese Geste der Intimität durchaus einordnen konnte, sah ihr schweigend zu, wie sie den Klebestreifen löste und die Harzflecken damit betupfte. Das meiste Harz blieb daran haften.
    Als sie ihre Hand wegziehen wollte, hielt Peter sie fest.