Richard Dübell
ausgenutzt wurde, auch noch mit Liebe rechtfertigte? Beinahe hätte er Eric gesagt, woher die Fusseln stammten und warum sie auf seinen Anzug gelangt waren. Aber er brauchte die Unterstützung seines Bruders noch. Und irgendwo ganz im hinten in seinem Hirn regte sich der Gedanke, dass er, Konstantin, dafür verantwortlich war und alles ganz anders wäre, wenn er nicht abgedrückt und den Museumswächter erschossen hätte.
Der Museumswächter war selbst schuld gewesen! Er hatte versucht, nach dem Revolver zu greifen!
Und die ganze Sache in Wittenberg hätte nie stattfinden müssen, wenn nicht lange, lange zuvor …
Einmal mehr spürte Konstantin, wie die Wut seine Kehle eng machte. So viele Jahre, und nichts hatte sich geändert. Umso besser, dass sich nun, wenn diese Mission vorüber war, alles wenden würde.
»Du bist so jämmerlich«, sagte er zu seinem Bruder und flüchtete sich wie früher noch tiefer in die Wut, um keine anderen Gefühle zuzulassen.
»Das verstehst du nicht«, erwiderte Eric. »Du nicht.«
29 .
»Mein Gott, so sterben zu müssen«, sagte Robert Kalp.
Peter hörte das Blut in seinen Ohren pochen. Er hörte das heftige Atmen Floras, die sich draußen auf eine Treppenstufe gesetzt hatte. Er hörte die gemurmelten Verwünschungen von Harald Sander. Vor allem aber glaubte er den Schuss zu hören, der hier drinnen abgefeuert worden war und ein Leben ausgelöscht hatte.
Der Raum beherbergte tatsächlich den Ölbrenner der Heizung. Er stand hinter einem unpassenden Holzparavent mit maschinell hergestellten orientalischen Schnitzmustern. Die Wände waren weiß gestrichen, aber nicht verputzt worden, so dass schwarze Spuren von Ruß und Staub sich auf jeder Unebenheit der Oberfläche angesammelt hatten. Ein Schlagzeug dominierte den Raum und war offenbar der einzige Einrichtungsgegenstand im gesamten Haus, der sauber war. Die Metallteile glänzten im Licht einer Neonleiste an der Decke, nur dort, wo das Blut auf das Instrument gespritzt war, war kein Glanz zu sehen.
Die Wände und die Decke waren größtenteils mit Eierkartons beklebt. An einer Wand war ein riesiger sternförmiger Fleck. Das grünliche Licht der billigen Neonlampe verwandelte seine Farbe in schmutziges Braun, aber Peter wusste, dass der Fleck im Tageslicht grellrot gewesen wäre. Das Blut war hauptsächlich an der Wand und auf dem Schlagzeug, aber auch an der Decke und auf einem wandhohen Spiegel, in dem man sich betrachten konnte, während man auf die Schießbude einhämmerte. Über dem Hocker lag ein weißer Frotteebademantel, als habe ihn jemand kurz angezogen und dann achtlos weggelegt. Peter konnte auch an ihm Blutspritzer sehen. Das meiste Blut war aber auf den Boden gelaufen und bildete dort eine riesige Lache.
Die Leiche lag in der Lache. Es war eine Frau. Sie war zierlich gebaut und von dem Schuss, der sie in den Hinterkopf getroffen hatte, mit Wucht gegen die Wand geschleudert worden. Die Eierkartons waren dort zerdrückt. Sie war von der Wand abgeprallt und auf den Rücken gefallen. Ihre Beine waren angewinkelt und halb unter ihrem Körper eingeklemmt. Sie hätte mit leeren Augen in die Höhe gestarrt, wenn sie noch ein Gesicht gehabt hätte. Peter blinzelte, weil der Anblick vor seinen Augen verschwamm.
Er trat einen Schritt zurück. Er hörte, wie Flora plötzlich zu würgen begann. Er schob Robert Kalp zur Seite und lehnte sich draußen an die Wand. Flora hustete und begann dann zu weinen.
Es war eine Hinrichtung gewesen. Das Opfer hatte sich auf den Boden knien müssen, dann war der Mörder hinter sie getreten und hatte sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. Es gab keinen Zweifel, wer das Opfer war.
Dies war die zweite Begegnung Peters mit Natalie Seitz. Und zuvor hatte sie ihre zweite Begegnung mit Blofeld gehabt. Sie würde nie wieder einem lebenden Menschen begegnen.
Plötzlich bückte Peter sich, riss Flora die Pistole aus der Hand und stürmte die Treppe hinauf. Er wusste selbst nicht genau, was er tat. Er hörte Harald und Robert rufen, aber die Worte drangen nicht zu ihm. Er rannte zur Haustür hinaus, um die Ecke zur Rückseite des Hauses, in den Schattenbereich hinein. Aus dem Haus hatte ihn noch eine Mischung aus Entsetzen und Wut getrieben, aber jetzt war da nur noch Wut. Den Maschendrahtzaun überwand er mit einem Sprung, dann war er im Wald und auf dem steilen Abhang, kam ins Schlittern, fing sich, stolperte über eine Wurzel, fiel, rollte in einer kleinen Lawine aus altem Laub, Zweigen
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