Richard Dübell
Zuständigkeit seines Teams reklamieren.«
Maier wandte sich um, als Stimmen bei der Polizeiabsperrung laut wurden. Der Nachbarschaftsvertreter hatte einen Kameraden im Geiste gefunden, einen untersetzten älteren Herrn mit einer Brille im Stil Helmut Kohls und einer quäkenden Stimme, die durch Hauswände dringen konnte.
»Eine Eifersuchtssache, oder?«, quäkte der Brillenträger. »Die waren doch Prekariat.« Er hatte leichte Mühe, das Fremdwort richtig auszusprechen. »Die haben nicht hierhergepasst. Er mit seinen Muskeln, und sie hat das Auto nie in die Garage gefahren. Wenn eine Garage da ist, fährt man sein Auto rein, oder? Ich wette, er hat sie umgebracht. Er hat sie erdrosselt. Oder? Habt ihr ihn geschnappt? Kommen Sie, wir haben das Recht, alles zu erfahren. Unsere Kinder haben hier in den Gärten gespielt! Oder? Oder?«
»Ich werde mich an höherer Stelle darüber beschweren, wie Sie hier Ihre Pflicht wahrnehmen!«, tönte der Nachbarschaftsvertreter.
»Mir ist klar, dass Sie gute Verbindungen haben müssen«, sagte Strutiow.
Der Nachbarschaftsvertreter warf sich in die Brust. »Ich arbeite in unmittelbarer Umgebung des Siemens-Vorstands in München.«
»Als was?«, fragte Strutiow.
»In der … äh … Rechnungsbearbeitung«, sagte der Nachbarschaftsvertreter etwas leiser und blickte beunruhigt, als Strutiow so tat, als würde er sich diese Information notieren. »Aber ich habe mein eigenes Sachgebiet!« Seine Stimme wurde noch leiser. »Zusammen mit drei Kollegen. Aber wir sind alle auf gleicher Ebene …«
»Oder hat er ihr den Schädel eingeschlagen?«, quäkte der Brillenträger. Er fuhr eine andere Taktik – die der Verbrüderung mit dem Beamten in Grün. »Kommen Sie, Herr Wachtmeister, wir sind doch alle Menschen. Oder? Ich hab so was schon im Fernsehen gesehen, in CSI Miami ! Wenn die Spurensicherung das Hirn von der Wand kratzt …«
Peter fühlte, wie Michael Maier ihn am Oberarm packte, und erkannte, dass er sich schon auf den Weg zu dem Brillenträger gemacht hatte. Er war selbst überrascht darüber, wie schnell die Wut aufs Neue in ihm hochkochte. Er hatte seinen Teil an Leichen gesehen im Zuge seiner Dienstzeit und genügend Fotos von anderen Tatorten, um zu wissen, welche Entstellungen der gewaltsame Tod oft mit sich brachte. Aber wenn er an die ermordete junge Frau hier dachte, hörte er sich zusammen mit Flora heute Morgen über die Situation lachen, in der sie sie vorgefunden hatten. Und jetzt hörte er das fraternisierende Lachen des Brillenträgers.
»Gehen Sie nach Hause, Herr Bernward!«, sagte Maier bestimmt. »Sofort.«
Peter wandte sich seinem Chef zu. Er machte eine hilflose Geste.
»Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte Maier. »Das zeichnet einen guten Polizeibeamten aus – dass der Tod nie Routine wird.«
Peter stapfte davon, während Michael Maier an die Absperrung trat. Es stimmte, was der Kriminaloberrat gesagt hatte – ein guter Polizist nahm den Tod nie als Routine. Ein guter Polizist fragte sich auch ständig, ob er mehr hätte tun können, ob er das Verbrechen hätte verhindern, ob er dem Tod seine Beute hätte abringen können. Hätten sie mehr tun können? Würde Natalie Seitz noch leben, wenn sie sich anders verhalten hätten?
Flora hatte ihm dieselbe Frage gestellt, während sie auf das Eintreffen der Kollegen gewartet und Robert und Harald Telefongespräche mit ihren Kollegen in München geführt hatten. Peter hatte erwidert, dass sie wahrscheinlich froh sein konnten, nicht eher hier gewesen zu sein. Sie wären Blofeld unvorbereitet in die Arme gelaufen – und dann wären hier fünf Zinksärge gefüllt worden. Flora hatte zu zittern begonnen. Peter hatte sie in den Arm genommen und erst dann gemerkt, dass er ebenso zitterte wie sie. Er war überzeugt von dem, was er zu Flora gesagt hatte; und gleichzeitig war er überzeugt, dass sie dennoch hätten hier sein sollen. Ein Polizist sollte immer zwischen dem Täter und dem Opfer stehen.
Bei Dominik Wiesner hatten sie diesen Grundsatz umsetzen können. Der junge Mann stand jetzt unter Polizeischutz. Peter hatte dafür gesorgt, dass Beamte zu seinem Haus fuhren, als sie die Kollegen alarmiert hatten.
Für Peter stand fest, dass es Blofeld gewesen war, der Dominik Wiesner und Natalie Seitz an diesem Morgen im Seitenportal der Martinskirche überfallen hatte. Aber wozu? Hatten er und Natalie sich gekannt? Die Vermutung lag nahe, wenn Eric Heigl Blofelds Komplize gewesen war. Hatte Blofeld
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