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Richard Dübell

Richard Dübell

Titel: Richard Dübell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allerheiligen
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seiner aktiven Zeit und bevor er es sich mit allen in seiner Umgebung verdorben hatte, eine Art Vorreiter von Connor Lamont gewesen war. Tristan Heigl hatte eine Turmführung auf den Martinsturm entwickelt, die er mit Musik- und Geräuscheffekten aus batteriebetriebenen Kassettenrekordern aufgepeppt hatte und die sehr populär gewesen war. Er musste also, bevor seine Besessenheit ihn vergiftet hatte, ein Mann mit einem gewissen Charme und einer gewissen Weltläufigkeit gewesen sein.
    Aber die für Peter hauptsächlich interessanten Informationen hatten mit der Historie zu tun gehabt.
    »Ich fasse das mal in aller Kürze zusammen«, sagte Peter. »Wir sind in Wittenberg, im Herbst 1475 . Die Stimmung zwischen der Delegation des Landshuter Herzogs und König Kasimir, der seine Tochter bis dorthin begleitet hat, ist mies, weil Herzog Georg, Kasimirs künftiger Schwiegersohn, entgegen allen Abmachungen nicht selbst nach Wittenberg gekommen ist, um seine Braut in Empfang zu nehmen. Kasimir will zunächst die Übergabe platzen lassen, erklärt sich aber dann doch nach einwöchigen Verhandlungen bereit, seine Tochter weiterreisen zu lassen. Hedwig reist danach so schnell wie möglich ab, damit der Hochzeitstermin nicht noch weiter nach hinten verschoben werden muss. Ein paar Abgesandte der Landshuter verhandeln derweil weiter mit dem König um die Übergabe des Hochzeitsschmucks, der ein Teil der Mitgift ist und den Kasimir wegen der Beleidigung nun doch nicht rausrücken will. Schließlich gelingt den Landshutern selbst das; ein Schreiben, das auch von König Kasimir gesiegelt ist, unterrichtet den Herzog in Landshut darüber, dass man am Allerheiligentag zu einer Einigung gekommen sei und dass ein Bote des Herzogs, ein Mann namens Albrecht Hugbald von Egweil, noch am selben Tag aufgebrochen sei, um den Schmuck nach Landshut zu bringen. Man habe die Hoffnung, dass Albrecht Hugbald Landshut zeitgleich mit der Braut erreiche, so dass diese den Schmuck bei der Zeremonie tragen könne. Aber Albrecht Hugbald kommt nicht in Landshut an; tatsächlich taucht er nie mehr irgendwo auf. Allerheiligen 1475 ist der letzte Tag, an dem er und der Hochzeitsschmuck jemals wieder gesehen werden.«
    »Natürlich nahm man damals an, Albrecht Hugbald habe den Schmuck gestohlen«, sagte Daniel. »Etwas anderes, etwa dass König Kasimir getrickst haben könnte, kam niemandem in den Sinn. Wenn schon jemand krumme Dinger drehte, dann musste es einer von den Kleinen sein, nicht die ganz Großen.«
    »Hugbald ist eine alte Namensform von Heigl«, sagte Peter. »Bist du dir da sicher?«
    »Tristan Heigl war sich sicher, so wie er sich sicher war, dass Albrecht Hugbald ein Vorfahr war. Seiner Ansicht nach war der Familienname durch Albrecht beschmutzt, aber es gab nichts, was er dagegen unternehmen konnte – bis im Jahr 2001 plötzlich Gerüchte laut wurden, der Hochzeitsschmuck sei in Krakau gefunden worden, der Fund würde aber geheim gehalten. Das brachte Heigl darauf, dass sein Vorfahr unschuldig gewesen war, dass er ganz treu an Allerheiligen 1475 mit dem Schmuck aufbrach, dass Soldaten des Königs ihm aber eine Falle stellten, ihn erschlugen und verbuddelten und den Schmuck zu ihrem Herrn zurückbrachten. König Kasimir war klamm und hatte den Mitgiftvertrag unterschrieben, wohl wissend, dass er Schwierigkeiten haben würde, seinem Versprechen nachzukommen. Den Hochzeitsschmuck zurückzubekommen wäre eine riesige Erleichterung für ihn gewesen, vor allem, wenn die Schuld an seinem Verschwinden einem Gefolgsmann des Landshuter Herzogs zugeschoben werden konnte. Diese Annahme posaunte Heigl in so vielen wütenden und chauvinistischen Leserbriefen und Artikeln in die Welt, dass sich selbst die Staatsanwaltschaft wegen politischer Hetzreden für ihn interessierte.«
    »Was glaubst du, was passiert ist, Pa?«
    »Damals? Ich glaube, dass es ein Komplott zwischen der Landshuter Delegation und dem König war. Die Landshuter Verhandlungsführer hatten schon ein Jahr zuvor beim Ehevertrag einige Paragraphen hingenommen, die ihnen den Zorn des Herzogs eingebracht hatten; wenn sie auch noch dabei versagt hätten, den Hochzeitsschmuck zu gewinnen, wären sie erledigt gewesen. König Kasimir hingegen brauchte nur auf stur zu schalten. Wenn du mich fragst, war es sogar die Idee der Landshuter Delegation, Albrecht Hugbald als Sündenbock hinzustellen. Damit hatten beide Seiten etwas davon: Die Verhandlungsführer konnten behaupten, den König überzeugt zu

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