Richard Dübell
haben, und der König hatte seinen wertvollen Schmuck wieder. Albrecht Hugbald hingegen hatte für seine Mühen nur eine Schwertklinge in den Eingeweiden.«
»Respekt, Pa«, sagte Peter. »Wenn es den legendären mittelalterlichen Peter Bernward wirklich gab, hast du anscheinend sein Kriminalisten-Gen geerbt.«
»Es gab ihn, Peter. Und wenn er damals diese Geschichte untersucht hätte, wäre sie seit fünfhundert Jahren aufgeklärt.«
Peter seufzte. »Aber logisch, Pa.«
»Ich möchte dir noch etwas zeigen«, verkündete Daniel. »Dazu musst du aber mit nach draußen kommen.«
Sie stiegen das geräumige Treppenhaus hinunter, gingen an den Fahrrädern im Erdgeschoss vorbei und traten in die kleine Gasse hinaus. Der Wagen der beiden Dingolfinger war weg. Anscheinend hatten sie die Nerven verloren. Peter holte den Schlüssel aus der Tasche und öffnete den Briefkasten. Seine Anwohnerparkberechtigung lag darin, zusammen mit einem kleinen Notizzettel, wie ihn die Bedienung eines Lokals benutzen würde, um die Tischrechnung darauf zusammenzuzählen. »Danke« war mit Kugelschreiber daraufgeschrieben. Peter grinste und verschloss den Briefkasten wieder, ohne den Parkschein herauszunehmen. Die meisten Menschen waren so gut, wie man es ihnen zutraute zu sein.
Daniel und Peter überquerten die kleine Gasse und kletterten die Treppe hinauf, die durch die Mauer auf das zwei Meter höher liegende Niveau des Dreifaltigkeitsplatzes führte. Daniel stapfte auf die andere Straßenseite hinüber und deutete dann wortlos in Richtung Stadtmitte.
Von diesem Punkt aus bot sich einer der schönsten Anblicke der Stadt. Im Zentrum des Blickfelds erhob sich der in den sommerlichen Nachthimmel ragende und von Scheinwerfern beleuchtete Martinsturm; massiv stieg er aus seiner wuchtigen Basis auf, um im oberen Drittel kühn und schlank den Treppentürmchen, die ihn stützten, zu entrinnen, der rotbraune Ziegel wie gemalt vor dem indigofarbenen Himmelshintergrund, die beiden Turmkränze weiß schimmernd, das Gold des riesigen Uhrblatts auf halber Höhe glitzernd.
Zu Füßen des Turms spielte sich das Sommernachtleben eines späten Freitags in der Innenstadt ab: Alle Eisdielen, Cafés und Gasthäuser hatten Tische und Stühle draußen aufgestellt, Spaziergänger flanierten umher, Autos auf Parkplatzsuche schoben sich zwischen Nachtschwärmern hindurch, die das Pflaster kurzerhand zu einer Fußgängerzone erklärt hatten.
»Seit über fünfhundert Jahren steht der Turm da«, sagte Daniel. »Er hat den Untergang der Landshuter Herzöge, alle Kriege und Zerstörungen und sogar die Umweltschäden überstanden, mit denen ihm die moderne Zeit zugesetzt hat. Was immer die Menschen an Fehlern und Unsinn gemacht haben, er hat sie alle überlebt. Er dürfte eigentlich gar nicht mehr stehen, so hoch und schlank und mutig gebaut, wie er ist, und so oft, wie in seinem Schatten gekämpft wurde und Kanonen geschossen haben und Bomben gefallen sind. Er steht immer noch. Er wacht wie stets über die Stadt. Und früher oder später brechen sich an seinem Fuß alle Probleme und werden nichtig vor seiner schieren Existenz.«
»Was willst du mir damit sagen, Pa?«
»Weiß ich nicht. Was für eine Botschaft ziehst du denn daraus?«
Peter schenkte seinem Vater einen langen Seitenblick. »Dass sich alle Probleme lösen, wenn man nur daran glaubt, dass sie es tun?«
»Ich dachte eher an so etwas wie: Solange auch nur einer da ist, der sich nicht beirren lässt, findet sich für alles eine Lösung.«
»Und ich bin der Typ, der sich nicht beirren lassen soll?«
Daniel grinste. »So hab ich dich immer gesehen.«
»Pa, ich bin ein einzelner Bulle in einem Fall, für den er kein Ermittlungsmandat hat, von dem er nur die Hälfte versteht und in den er nicht eingreifen kann, selbst wenn er möchte.«
»Du willst eingreifen, Peter, mach mir nichts vor. Und du bist nicht allein.« Daniel deutete erneut auf den Martinsturm. »Vor fünfhundert Jahren hat um ihn herum schon einmal ein Mann mit deinem Namen gegen das Verbrechen in der Stadt gekämpft. Ich möchte wetten, dass er seine eigenen Lösungen gesucht hat, statt sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Und was immer du auch davon hältst: Solange ich an ihn glaube, hat er existiert, und so lange wird er an deiner Seite stehen.«
Peter wollte genervt auffahren, doch dann wurde ihm klar, mit welcher Würde sein Vater gesprochen hatte und dass das Lächeln auf seinen Lippen nicht von der hartnäckigen Überzeugung
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