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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und des Betrugs (im Falle des Herrn S.).
    »Was für ein ungeheurer Blödsinn«, dachte sich Lukastik, wenngleich er natürlich nicht unglücklich war über diese Seiten, zwischen denen – das war ihm nun klar – die Fotographie kaum zufällig gesteckt haben konnte. Der Umstand, daß jenes geraubte Hölderlin-Zitat in einem Brief aus dem Jahre 1993 aufschien, nur zwei Monate nachdem Sternbach seinen Rekord im Tieftauchen aufgestellt hatte, und das Faktum, daß Sternbach das Oborin-Buch mittels einer Unterwasserfotographie markiert hatte, verführte Lukastik zu der Spekulation, daß der tieftauchende Friseur mit dem erwähnten Herrn S. identisch war. Daß also Sternbach es gewesen war, der sich zu der »Frechheit« verstiegen hatte, eine berühmte Widmung als eigene Idee auszugeben. Was nun hätte bedeuten müssen, daß die Handschrift des Herrn S. mit jener Sternbachs – die Lukastik ja von der Nachricht bezüglich des Bunkers her kannte – übereinstimmte. Ob dies aber wirklich der Fall, traute sich Lukastik nicht zu sagen. Er hatte Sternbachs »Klaue« nur mehr vage im Gedächtnis.
    Jedenfalls erkannte Lukastik an dieser »Tat« nichts Verbrecherisches. So wenig, wie er einen Sinn darin sah, Hölderlin als Egomanen zu entlarven, als einen Mann, dessen Widmung an die geliebte Frau bloß ein gehöriges Maß an Narzißmus verschleiern sollte. Oder was auch immer.
    »Graphologen gehören in den Mülleimer«, murmelte Lukastik vor sich hin. Eine Anschauung, die er in bezug auf die gesamte Gerichtspsychologie und das Gutachterwesen an sich vertrat. Gutachter waren seiner Meinung nach Personen, die ständig von der Wahrheit ablenkten. Oder zumindest vom Wesentlichen. Vergleichbar jenen Theologen, die wortgewaltig bemüht schienen, der Frage nach Gott auszuweichen.
    Als nun die Krautfleckerl serviert wurden, plazierte Lukastik die drei Papiere auf der entgegengesetzten Seite des Tisches, so daß er sie weiterhin im Auge behalten konnte, während er begann, sich mit halber Aufmerksamkeit der Speise zu widmen, wobei diese Krautfleckerl durchaus seine ganze Konzentration verdient hätten. Die schmetterlingshaften Teigstreifen besaßen derart unterschiedliche Formen, daß sich der Verdacht der Handarbeit aufdrängte. Ein wenig schauderte Lukastik bei der Vorstellung, daß jedes einzelne Stück durch den Druck ihm völlig fremder Finger zustande gekommen war. Woran er nun wirklich nicht denken wollte, an fremde Finger. Also schaufelte er die beträchtliche Menge in sich hinein und beschäftigte sich im übrigen mit der Frage, was er mit den beiden Seiten aus dem Oborin-Text sowie dem ziemlich schlechten Foto eines Hairudels anfangen sollte.
    Hairudel? War im Zusammenhang mit Fischen das Wort Rudel überhaupt angebracht? Oder mußte nicht viel eher von einem Schwarm die Rede sein? Andererseits stellte sich Lukastik unter einem Schwarm eine viel größere Anzahl viel kleinerer Fische vor. Gleich darauf erinnerte er sich, in Verbindung mit einer zusammengehörigen Gruppe von Haien einmal den Begriff »Schule« vernommen zu haben. Ja, das war es wohl.
    Zum Ende seiner Mahlzeit hin widmete sich Lukastik wieder etwas intensiver seinen Krautfleckerl goutierte den ausgewogen süß-säuerlichen Geschmack, trank sein Glas Wein aus und packte die Papiere zurück in den Tractatus. Das Restaurant füllte sich zusehends, und obgleich Lukastik keine Panik in vollen Räumen kannte, fühlte er sich unwohl angesichts der vielen ausgeruhten Menschen, welche sozusagen ihre eigene »Schule« bildeten.
    Am Übergang zum Foyer traf er noch einmal den alten Oberkellner, der sich jetzt damit begnügte, das Personal zu dirigieren. Lukastik versuchte ihm einen Blick zuzuwerfen, eine Geste, die besagte, wie richtig der Vorschlag gewesen war, sich für ein einfaches und unfeierliches Gericht zu entscheiden, das in keinem Moment den Gedanken an eine Geburtstagstorte hervorrief. Doch der alte Mann war jetzt vollkommen in sein Dirigat vertieft. Er jonglierte geradezu mit seiner Mannschaft.
    Zurück in der weiten, aber niedrigen Empfangshalle, ging Lukastik ziellos umher, wie um seine Beine zu vertreten. Nicht, daß er die zusammengelaufenen Gäste nicht bemerkt hatte, die jetzt vor einem Fernsehgerät standen und deren Anspannung und Erregung zu spüren war. Gut möglich, daß irgendwo ein Flugzeug abgestürzt oder die nationale Fußballmannschaft ein von niemandem erwartetes Tor erzielt hatte. Etwas in dieser Art. Nichts, was Lukastik jetzt zu

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