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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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eine Stellwand abgetrennte Büro. Von hinten betrachtet, hatten sie etwas von einem Pärchen. Einem Pärchen in tonlosem Streit, verbunden durch den Abgrund zwischen sich. Manche Menschen bildeten mittels ihrer gegenseitigen Abneigung geradezu einen Knoten, einen schillernden Knoten.
    Lukastik drängte sich das Gefühl auf, soeben eine Ehe gestiftet zu haben. Zumindest eine Art von Ehe. Das war ein abstruses Gefühl, aber nicht unedel.
    Er ging um seinen Tisch herum, griff nach Zahn und Hörgerät und steckte die beiden Beweisstücke in einen Klarsichtbehälter, den er in die Tasche seiner Anzugjacke schob. Erneut blickte er auf seine Uhr und ging hinaus, wandte sich aber noch einmal nach dem Gemälde um. Ein gutes Bild. Manchmal schien ihm, als habe er selbst es gemalt.
    Beim Verlassen des Gebäudes kam ihm der Major entgegen. Von draußen drang eine Abendsonne in den Gang, die bereits wieder jene alte Schärfe der Vortage besaß. Staub stieg auf im Licht, als schneie es von unten nach oben.
    »Haben wir etwas?« fragte der Major. Er wirkte verlegen, wie die meiste Zeit. Er stellte nicht gerne solche Fragen. Lieber wäre ihm gewesen, die Erledigung eines Falles bloß zu quittieren. Im Grunde sah er sich als jemand, dessen Tagwerk darin hätte bestehen sollen, Unterschriften auf ungelesene Dokumente zu setzen. Er war ein Mann von gestern und war es gern. Auch er gehörte zu denen, die lieber in der Oper saßen.
    Obgleich er ständig Fehler witterte, wäre er nie auf die Idee gekommen, Druck zu machen. Druck zu machen empfand er als ordinär und unsinnig. Was hätte er auch sagen sollen? Finden Sie einen Mörder, aber dalli? Also fragte er bloß nach dem Stand der Erhebung. Wie um nicht aufzufallen.
    »Da ist eine Spur, die in die Nähe von Zwettl führt«, berichtete Lukastik. »Scheint vielversprechend zu sein. Ich habe Boehm von der Spurensicherung abgezogen. Sie ist jetzt mit Jordan unterwegs dorthin. Keine Staatsaktion, sondern kontrollierte Ermittlung.«
    »Dieser Berater des Bürgermeisters  …«, begann Lukastiks Vorgesetzter unsicher. Es klang, als beiße er Fingernägel.
    »Soll ich ihn verhaften lassen?«
    »Wie bitte?«
    »Ein Grund würde sich finden lassen. Und Sie hätten endlich Ruhe von diesem Menschen.«
    Der Major machte ein irritiertes Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Lukastik das ernst meinte. Andererseits enthielten die Bemerkungen seines Untergebenen selten eine ironische Note.
    »Vergessen wir das«, schlug der Major vor. »Sie informieren mich, sobald Sie über etwas Konkretes verfügen.«
    »Gerne«, sagte Lukastik, froh darüber, keinen Vortrag über Swan River Whalers halten zu müssen. Ohnehin war er überzeugt, daß der Fall in wenigen Tagen gelöst sein würde. Alles Dramatische und Obskure verkümmerte rasch, alles Aufgeblasene zerplatzte und hinterließ einen traurigen Rest.
    Er trat hinaus in die Wärme. Geblendet vom Licht, hielt er die Hand über die Augen. Ein Uniformierter, den Lukastik gar nicht gesehen hatte, erwiderte salutierend den vermeintlichen Gruß.

5       Pünktlich um sieben trug die Schwester den Topf mit Suppe auf. Es gab immer Suppe, an einem jeden Abend. Die Suppe stellte das eigentliche Hauptgericht dar, so heiß konnte ein Tag nicht gewesen sein. Danach wurde in der Regel eine kalte Platte serviert, kaltes Huhn, Pasteten, Wurst, Käse, entfächerte harte Eier und gefächerte Gurken. Aber das war dann nur noch ein Nachschlag. Auch ergab sich nach dem Verzehr der Suppe eine baldige Auflösung, ein Auseinanderdriften der einzelnen Familienmitglieder, dem sich allein der Vater widersetzte, indem er oft bis acht, halb neun an seinen Käse- und Wurstbroten »handwerkte«. Die Sorgsamkeit und Ruhe, mit der er ein Stück Brot gerade vom Laib schnitt und so mit Wurst oder Käse belegte, daß keine Stelle der Auflagefläche freiblieb, jedoch auch kein Teil des Belages über den Rand stand, konnte einen Anwesenden nachgerade nervös machen.
    Richard Lukastik nahm selten mehr als die Suppe zu sich. Nicht, daß ihm der Anblick von Wurst Übelkeit bereitete, doch »kaltes Fleisch« war nicht seine Sache. Etwas, das tot war, sollte zumindest in einem erhitzten Zustand auf den Tisch kommen. Jedenfalls meinte Lukastik mit dem Genuß zweier Teller Suppe seine Pflicht erfüllt zu haben. Eine Pflicht, an die er sich absolut gebunden fühlte, die ihm aber gleichzeitig – angesichts des Umstandes, in drei Jahren seinen fünfzigsten Geburtstag zu feiern – ein

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