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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gefühl der Scham bescherte. Weshalb er in Gegenwart seiner Kollegen und Bekannten dieses Ritual unerwähnt ließ. Es war schlimm genug, daß er zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester lebte. Es gab Leute, die etwas Derartiges grundsätzlich für krank hielten.
    Für wie krank wäre denselben Leuten dies alles erst erschienen, wäre ihnen die ganze Wahrheit bekannt gewesen?
    Um überhaupt von normalen Umständen sprechen zu können, hätte Lukastik ein Witwer sein müssen. Ein solcher war er nun mal aber nicht. Wobei er freilich erst wenige Jahre zuvor zu seinen Eltern zurückgekehrt war, genauer gesagt, zwei Räume in der elterlichen Wohnung bezogen hatte. Räume, für die er Miete bezahlte, nicht anders und nicht weniger als ein Untermieter. Auch lag es allein an ihm selbst, den Zustand dieser beiden auf den Hinterhof weisenden Zimmer zu bestimmen. Es war also nicht so, daß seine siebenundsechzigjährige Mutter hinter ihm her räumte oder her schnüffelte. Ohnehin war ihre Begeisterung bei seinem Einzug eine geringe gewesen.
    »Was willst du eigentlich?« hatte sie ihn gefragt.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Soll das eine Antwort sein?«
    »Ich weiß es nicht«, hatte er wiederholt.
    Die Verpflichtung zum Abendessen empfand Lukastik als unausgesprochene Regel. Die Möglichkeit, daß dies gar nicht von ihm verlangt wurde, kam ihm zwar hin und wieder in den Sinn, dennoch hielt er hartnäckig daran fest. Vergleichbar jenem Reglement, das ihn davon abhielt, eine Zigarette auszudrücken. Er glaubte nicht, eine Wahl zu haben. Über die Pflicht, zum heimatlichen Abendmahl zu erscheinen, brauchte gar nicht erst diskutiert zu werden.
    Nachdem die Schwester die bauchige Schüssel auf den metallenen Aufsatz gestellt hatte, erhob sich Lukastik und faßte nach dem kleinen Deckelgriff in Form eines Pferdekopfes. Was ihm stets ein wenig ungehörig vorkam, den emailenen Pferdekopf quasi an den Ohren zu packen und in die Höhe zu ziehen. Um so mehr, als es ihm widerstrebte, einen Zusammenhang zwischen Suppen und Pferden herzustellen.
    Dampf stieg auf. Lukastik spürte die Hitze, die sein Gesicht feucht umgab. Der Geruch von frischem Schnittlauch wiederum besaß die Wirkung einer Air-Condition. Solcherart in einem Zwiespalt stehend, Schweiß auf der Stirn, Kühle in der Nase, verteilte Lukastik die mit eingetropftem Ei versetzte Fleischbrühe in die vier Teller. Dann griff er noch einmal nach dem Pferdekopf, setzte den Deckel auf die Schüssel und nahm wieder Platz.
    Zunächst war ein jeder mit sich und seiner Suppe beschäftigt, wobei auch hier der Vater – beinahe achtzigjährig, klein, von zahllosen Spaziergängen rüstig und sonnengebräunt – mit artistischer Langsamkeit den Löffel in die Flüssigkeit gleiten ließ und herumrührte, als suche er einen bestimmten, beim Kochen verfestigten Teil des verquirlten Eies. Wenn er dann endlich den niemals vollen, immer nur halb vollen Löffel an seinen fast jugendlich glatten Mund führte, blieb seine Hand vollkommen ruhig. Bei den meisten Tätigkeiten, oder auch im Zustand der Bewegungslosigkeit, zitterte diese Hand. Nicht aber, wenn sie einen Suppenlöffel hielt oder mit einem Messer eine Scheibe Brot präzise herunterschnitt.
    Es war die Schwester, die jetzt unvermutet zu sprechen begann, man könnte auch sagen, wie aus der Suppe geschossen erklärte, im Radio wäre die Nachricht gekommen, die Leiche eines Mannes sei auf dem Dach eines Wiener Wohnhochhauses entdeckt worden. Mitten im Pool. Wobei der Mann einige merkwürdige Bißverletzungen aufgewiesen hätte. Möglicherweise sei er von einem freilaufenden Kampfhund angefallen worden, um dann schwerverletzt in das Schwimmbecken zu fallen und dort zu sterben. So oder so ähnlich.
    »Können wir vielleicht über etwas anderes reden?« erkundigte sich die Mutter, eine betont elegante und kultivierte Person, die in so gut wie jedem Umfeld den Eindruck hinterließ, von Barbaren umgeben zu sein. Es war nicht unbedingt affektiert zu nennen, was sich da in ihrem Gesicht abspielte, denn Grimassen vermied sie natürlich. Eher handelte es sich um eine minimale, aber wesentliche Verschiebung der Züge, wie wenn jemand in dem Moment, da er einen gerade noch genießbaren Wein konsumiert, daran denkt, daß dieser Wein demnächst gekippt wäre.
    Lukastiks Schwester ignorierte jedoch die Bemerkung der Mutter und fragte ihren Bruder, was er über diesen Fall wisse. Ober ob man ihn gar mit den Ermittlungen beauftragt habe. Immerhin sei im

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