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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Radio die Rede davon gewesen, es gebe erste Hinweise auf ein Verbrechen. Und zwar eines, das über die mangelnde Sorgfaltspflicht eines Hundehalters weit hinausgehe.
    »Wer behauptet das?« fragte Lukastik.
    »Hörst du nicht zu?« beschwerte sich die Schwester. »Ich sagte doch, ich habe die Nachricht aus dem Radio. Also, hast du was damit zu tun?«
    »Ja«, sagte Lukastik knapp. Er hatte keine Lust, zu lügen. Freilich hatte er auch keine Lust – schon aus Rücksicht auf seine Mutter –, von der tatsächlichen Schwere der tödlichen Verletzungen zu sprechen. Ein abgerissenes Bein war kein Thema, das zu einer Suppe von dieser Qualität paßte.
    Vater selbst kochte all diese Suppen. Er hatte gut siebzig Jahre seines Lebens keinen einzigen Kochtopf auch nur angerührt, um dann ohne ersichtlichen Grund, von einem Tag zum anderen, damit zu beginnen, das Kochen zu erlernen, Suppen herzustellen, Rezepte zusammenzutragen und befreundeten Restaurantköchen über die Schulter zu sehen. Gleichzeitig war der bis dahin äußerst gesprächige pensionierte Diplomat beinahe völlig verstummt. Er redete nur noch das Notwendigste. Und dieses Notwendigste kreiste um die Vorbereitung der abendlichen Suppe. Bei Tisch sagte er dann kein Wort, wobei er weder unfreundlich noch verbittert, sondern konzentriert wirkte. Sein Schweigen war wie ein schwebender Kranz, der den Suppenesser umgab und glorifizierte. Ein kleiner, alter Mann als Suppenheiliger.
    »Laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen«, bat die Schwester und schenkte sich und ihrer Mutter einen Schluck Riesling ein.
    Lukastik war verärgert. Er erklärte, er würde keine Lust haben, über seine Arbeit zu sprechen.
    »Was ist das überhaupt für eine Arbeit?« fiel ihm jetzt die Mutter in den Rücken. »In den schäbigsten Bereichen der menschlichen Seele herumzuwühlen? Und zwar nicht wie ein Künstler oder Psychologe, sondern wie ein primitiver Goldschürfer.«
    »Nicht schon wieder, bitte!« meinte Lukastik gequält. Er hatte es seit langem satt, sich dafür rechtfertigen zu müssen, Polizist geworden zu sein, auch wenn natürlich die Stellung und Profession eines Chefinspektors nicht so völlig ohne Charme war wie die Tätigkeit jener uniformierten Beamten der Sicherheitswache. Seine Mutter machte jedoch diesbezüglich kaum einen Unterschied. Sie hatte ihren Sohn bereits als Musikwissenschaftler gesehen und somit in einer Disziplin, die ihr als eine der wenigen frei vom Dreck des Alltäglichen erschienen war. Während sie fand, daß die Kriminalistik den Dreck herausstellte, eben in der Art der Goldschürferei, alles außer der zu beweisenden Tat durch ein Sieb rinnen ließ.
    Frau Lukastiks Widerwille war fundamental. Etwas rein Körperliches trieb sie dabei an. Es ging ihr wie dem Major. Die Gegenwart eines Polizisten war ihr unangenehm. Ein wenig erschien es ihr, als sitze mit ihrem Sohn auch das Verbrechen am Tisch, und zwar das Verbrechen abseits des Vorstellbaren. Ein Umstand übrigens, den sie in den vielen Jahren, da Lukastik nur hin und wieder zu Besuch gekommen war, nie so stark empfunden hatte. Das aber hatte sich geändert. Und hätte sie es geahnt gehabt, so wäre ihr wohl ein Argument eingefallen, um den Einzug ihres Sohnes zu verhindern. Jetzt aber war es zu spät. Sie konnte ihn nicht hinauswerfen. Unmöglich.
    Sie wäre schon froh gewesen, hätte man über etwas anderes gesprochen. Es gab wunderbare Themen. Doch ihre Tochter blieb hartnäckig, wollte über den Toten informiert werden, der da hoch oben, in einem Hauspool gefunden worden war. Wobei Lukastiks Schwester nicht eigentlich ein sensationssüchtiger Mensch war oder eine Vorliebe für Grausamkeiten besaß. Es war vielmehr ihre Art, lästig zu sein. Wenn ihr gerade danach war, lästig zu sein.
    »Ich kann dir nichts sagen«, wiederholte Lukastik und beugte sich tiefer über den Teller.
    »Weil du nichts sagen willst oder nichts sagen kannst?«
    »Die ganze Sache ist noch viel zu unausgegoren«, äußerte der Bruder. Und wie um das Wesen der Kriminalistik auf den Punkt zu bringen, beschrieb er: »Ein Mann ist tot, wir sehen uns seinen Körper an, stellen Vermutungen an, fragen uns, warum ausgerechnet er und nicht ein anderer. Und wieso überhaupt.«
    »Goldwäscherei«, kommentierte die Mutter.
    »Nach dem ersten Tag«, fuhr Lukastik fort, »kann man nicht verlangen, daß alles schön sauber und vollkommen logisch vor einem auf dem Tisch liegt. Selbst Geständnisse muten in dieser frühen Phase

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