Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
von Haien?«
Slatin sah den Chefinspektor überrascht an. »Wollen Sie wissen, ob Haifischen Ohren wachsen?«
»Es müßten sehr kleine Ohren sein.«
»Nun, das Gehör ist gar nicht so übel«, sagte Slatin. »Haie verfügen über ein inwendiges Hörorgan aus Sinneshaaren. Macula neglecta. In Kombination mit anderen Sinnen, vor allem einem Sinn fürs Elektrische, ergibt das ein vernünftiges System der Ortung. Also schwerhörig sind Haie so wenig, wie sie blind sind. Warum fragen Sie?«
Lukastik sah hinüber zu Dr. Paul. Dann sagte er: »Der Tote scheint an einer Hörschwäche gelitten zu haben.«
»Und?« fragte Slatin.
»Nichts und. Ich versuche nur, mir einen Überblick zu verschaffen. Und einen möglichen Bezug herzustellen. Ich glaube nicht, daß der Mann beim bloßen Füttern ums Leben kam.«
»Manche Leute«, äußerte Slatin, »ersaufen in einer Pfütze.«
»Die ersaufen, weil sie besoffen sind, und nicht wegen der Sonderbarkeit einer zentimeterhohen Lache«, sagte Lukastik. Und an den Arzt gerichtet: »Noch etwas gefunden, Dr. Paul?«
»Betrunken war der Mann nicht, wenn es das ist, was Sie wissen wollen. Ich habe mir sein Blut angesehen. Unauffällig. Ein wenig zuviel Eisen und Kreatinin. Das ist es auch schon. So gesehen war der Mann gesund. Aber das sieht man ihm ja auch an. Einfach schade um einen solchen Körper.«
»Hat sich die Staatsanwaltschaft schon gemeldet?« fragte Lukastik.
»Morgen früh kann ich mit der Sektion beginnen«, erklärte der Arzt. »Aber ich glaube nicht, daß wir eine Überraschung erleben werden. Der Mann ist ertrunken und verblutet, das eine vor dem anderen. Oder quasi im Einklang. Aber natürlich muß man ganz sicher gehen. Ich werde mir als erstes seinen Schädel ansehen. In so ein Hirn schaut man hinein wie in ein Tagebuch, das eine Weile im Wasser gelegen hat. Verschwommene Schrift.«
»Ja«, sagte Lukastik, »blättern Sie im Tagebuch.« Dann wandte er sich an Slatin, dem er dankte und ihm anbot, ihn zurück in seine Wohnung zu bringen.
»Nicht nötig«, meinte Slatin, er wolle sich noch ein wenig mit Dr. Paul unterhalten. Im übrigen stehe er weiterhin gerne zur Verfügung. Der Fall sei natürlich hochinteressant. Er sei äußerst gespannt, wer hinter alldem stecke und welche Bedeutung der Swan River Whaler spiele. Von dessen Rolle als »Mörder« einmal abgesehen.
Lukastik zog seinen linken Mundwinkel in die Höhe, wodurch sein ganzes Gesicht eine Falte bildete. Er hielt wenig von Verschwörungstheorien, von unterirdischen Labors und geheimen Experimentierstätten. Andererseits mußte innovative Forschung auch hin und wieder abseits des Erlaubten betrieben werden. Und daß es dabei zu Unfällen kommen konnte, die vertuscht werden mußten, war ebenso einleuchtend. Doch unter Vertuschung stellte er sich etwas anderes vor als eine derart satirisch angehauchte Plazierung der Leiche. Und wenn nun tatsächlich die Erforschung einer bestimmten Haigattung eine Rolle spielte, so mußte es erstaunen, daß rein gar nichts unternommen worden war, um Hinweise auf diesen Fisch zu unterbinden. Man hätte die Leiche verbrennen, zerstückeln oder anderswie entstellen können, um von der eigentlichen Todesursache abzulenken. Statt dessen hatte man sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen halben Haifischzahn aus dem Fleisch zu ziehen. Mag sein, daß in Eile gehandelt worden war. Aber dann stellte sich wiederum die Frage, weshalb man die tote Person komplizierterweise auf ein Hochhausdach geschleppt hatte.
Lukastik erinnerte sich seines ersten Gedankens, daß die Leiche quasi aus dem Himmel in den Pool gefallen war, aus geringer Höhe freilich, warum ja auch diesbezügliche Verletzungen am Körper des Toten fehlten.
»Das Rätsel gibt es nicht«, wiederholte Lukastik mit klarer Stimme, damit wenigstens irgend etwas klar war, die Stimme und die Aussage.
Paul und Slatin, immerhin beide Naturwissenschaftler, zeigten Gesten der Zustimmung. Freilich konnte Lukastik, als er den Raum verließ, hinter sich die entfernte Stimme Slatins vernehmen, als dieser meinte: »Es mag zwar keine Rätsel geben, aber es gibt die Nacht, in der wir nichts sehen. Und es gibt blinde Kühe.«
Was mit den Kühen gemeint war, darüber war sich Lukastik nicht ganz sicher. Aber die Sache mit der Nacht war schon richtig. Weshalb man auch, um beim Bild zu bleiben, entweder eine Taschenlampe zum Einsatz bringen oder die Nacht abwarten mußte. Es war also stets die Ungeduld, die den Eindruck eines
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