Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Hörgerät?« fragte Lukastik.
»Nein. Was soll die Frage?«
»Sie haben sich aber ein solches angeschafft. Eine Spezialanfertigung. Wir können das nachweisen.«
»Meine Güte. Und deshalb sind Sie hier?«
»Deshalb bin ich hier«, bestätigte Lukastik. »Also? Warum haben Sie das Gerät bestellt und auch abgeholt?«
»Ich bin Friseur.«
»Na und?«
»Die Leute kommen nicht bloß zu mir, damit ich ein wenig Schwung in ihre Haare bringe oder rette, was zu retten ist, sondern auch mit ihren Problemen. Ich will mich nicht zum Seelsorger hochstilisieren, das wäre eine Übertreibung, aber es gibt nun mal ein Naheverhältnis zwischen dem Friseur und seinem Kunden, das auch nicht viel anders ist als das zwischen Arzt und Patient oder Priester und Gläubigem.«
Es entstehe, erklärte Sternbach, eine beträchtliche Intimität, wenn man einem anderen Menschen ins Haar und auf den Kopf greife. Ganz abgesehen davon, daß ein Friseur ja nicht nur die Frisur, sondern den ganzen Menschen verändere. Zumindest glaubten das die Kunden. Wollten es glauben. Und ob das einem Friseur nun recht sei oder nicht, die Leute würden sich im Zuge dieser Beziehung erschreckend zutraulich benehmen.
»Diese Menschen«, beschrieb Sternbach, »kommen, um sich ihre Haare richten zu lassen, um ein wenig hübscher, glaubwürdiger oder eleganter zu werden, und schon reden sie über ihre kleinen und großen Schwierigkeiten, lassen jegliche Scham vermissen. Glauben Sie nur nicht, die Jungen wären da anders als die Alten. Ein jeder beginnt irgendwann zu erzählen, zu klagen, manche werden unflätig, andere brechen halb zusammen. Die meisten aber winseln bloß, flehen um Hilfe, flehen um einen Rat, als würde ihr Friseur eine Weisheit besitzen, über die kein Arzt oder Priester, kein Steuerberater oder Psychoanalytiker verfügt. Es sind geradezu unglaubliche Dinge, um die man als Friseur gebeten wird. Da ist die Sache mit dem Hörgerät ausgesprochen harmlos.«
»Wie harmlos?«
»Muß ich darüber reden? Ich habe eigentlich versprochen, Stillschweigen zu bewahren.«
»Glauben Sie mir«, sagte Lukastik. »Sie müssen. Selbst wenn Sie Arzt wären.«
»So brisant?«
»So brisant«, bejahte Lukastik.
»Also gut, »sagte Sternbach. »Vor einigen Jahren hat mich ein Kunde gebeten, ein solches Gerät für ihn zu besorgen. Dieser Mann ist nicht ganz einfach. Auch bezüglich seiner Haare. Er verlangt stets ein Wunder. Aber weder bin ich ein Bildhauer noch ein Perückenmacher. Und schon gar kein Schönheitschirurg. Nicht, daß dieser Mann einen solchen nötig hätte, nicht, daß er schlechtes Haar besitzt, keineswegs, aber er ist nun mal ziemlich exzessiv und unbescheiden. Um so schlimmer, als da vor ein paar Jahren seine Hörkraft abnahm. Das eine Ohr war nur gering betroffen, aber mit dem anderen gab es beträchtliche Probleme, eine Störung des Akustikus. Doch er wollte partout nichts dagegen unternehmen. Aber das geht natürlich nicht. Man kann sich nicht blind stellen, wenn man taub wird. Auch wenn es kaum vonnöten ist, alles zu verstehen, was da im Laufe eines Tages so verzapft wird. Niemand weiß das besser als ich. Allerdings zählt dazu, daß man selbst entscheiden kann, wann man weghört und wann man hinhört. Und es sieht auch nicht wirklich gut aus, einem Gesprächspartner immer nur sein halbwegs gesundes Ohr zuzuwenden.
Es wurde also unvermeidlich für den Mann, von dem ich spreche, sich zumindest für das schlechtere Ohr ein Hörgerät anzuschaffen. Doch weil es ihm eine unerträgliche Vorstellung war, sich selbst darum zu kümmern, hat er mich darum gebeten, dies für ihn zu übernehmen. Was heißt gebeten? Er hat es mir glattweg befohlen. Hat mich mit exakten Angaben und einem Abdruck seines Gehörgangs nach Wien geschickt, um ihm dieses spezielle Gerät zu beschaffen. Immerhin wußte er ganz genau, was denn nun sein Ohr nötig hatte. Trotzdem, ich hätte nein sagen müssen. Aber wann habe ich je nein gesagt?«
»Dieser Mann, dessen Namen Sie so priesterlich verschweigen, ist das ein eher sportlicher Typ?« fragte Lukastik.
»Das kann man wohl sagen. Fit bis in die Zehenspitzen. Soweit ich weiß, war er Olympiazweiter in irgendeiner Bootsart. Das ist zwar Ewigkeiten her, aber er ist noch immer in Schuß, wie man so sagt.«
»In meinem Alter?«
»In Ihrem Alter, so ungefähr. Sie wollen jetzt aber hoffentlich nicht von mir hören, ich würde Sie ebenfalls für fit bis in die Zehenspitzen halten.«
»Nicht nötig«, erwiderte
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