Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
geschehen ist, in seinen Augen. Offensichtlich hat ihm mein Geschmiere zugesagt. Er hätte sich ansonsten kaum von mir frisieren lassen.«
»Klingt paranoid.«
»Das wird Oborin wohl gewesen sein.«
»Mir kommt es so vor, als seien Sie nicht wirklich überrascht vom gewaltsamen Ende Ihres Kunden.«
»Nun, ich falle deshalb nicht aus allen Wolken«, sagte Sternbach. »Es hätte kaum gepaßt, wäre Oborin einem kleinbürgerlichen Herzinfarkt zum Opfer gefallen. Aber wenn Sie denken, ich wüßte etwas über etwaige Feinde, irren Sie sich.«
»Wenn Sie seine Feinde nicht kannten, dann vielleicht seine Freunde.«
»Freunde? Keine Ahnung. So nahe waren wir uns wirklich nicht, als daß ich Ihnen sagen könnte, mit wem er sein Bier getrunken hat. Wenn es denn überhaupt Bier gewesen ist. Was ich sagen kann, ist nur, daß er oft mit Leuten aus dem Stift zu tun hatte.«
»Stift Zwettl?«
»Ja«, sagte Sternbach. »Oborin hat sich nebenbei mit mittelalterlichen Handschriften beschäftigt. Nicht in einem professionellen Sinn, sondern als sachkundiger Laie. Er war ein Förderer der Handschriftensammlung, hat einen schönen Haufen Geld gespendet.«
»War er reich?«
»Er war vermögend.«
»Wie? Als Graphologe?« staunte Lukastik.
»Vergessen Sie seine Bücher nicht. Die Leute mögen so etwas. Sich die Handschrift von jemand ansehen und dann die Entscheidung treffen, ob man mit dieser Person Kinder haben möchte oder nicht.«
»Ja, das wäre praktisch, wenn man sich darauf verlassen könnte.«
»Oborins Leser tun das wohl. Mich dürfen Sie nicht fragen. Graphologie ist nicht meine Domäne. Ich lese gewissermaßen in den Haaren der Menschen.«
»Und was liest man dort?« fragte Lukastik.
»Triviales.«
Lukastik warf eine weitere zu Ende gerauchte Zigarette zu Boden. Er spürte Sternbachs Blick, welcher zu besagen schien, daß es so nahe der Tanksäulen angebracht wäre, die Zigarette auszutreten. Aber Lukastik blieb natürlich konsequent.
Eine Weile standen die beiden Männer einfach da und froren. Endlich entschied Lukastik: »Gehen wir schlafen. Ich schlage vor, wir treffen uns um acht Uhr in der Bar auf einen Kaffee. Danach fahren wir nach Zwettl, und Sie zeigen mir Oborins Haus.«
»Sie müssen wissen, was zu tun ist«, meinte Sternbach resignierend.
»Ja, das muß ich«, sagte Lukastik.
Minuten später dirigierte Selma Beduzzi ihren neuen Gast durch einen schmalen, fenster- und schmucklosen Verbindungsgang in jenen häkchenartig auskragenden Gebäudeabschnitt, in dem die Zimmer lagen. Der Flur – breiter, aber ebenso schmucklos – bestach durch eine reizvoll fleckige, silbergraue Wandbemalung, die einen metallischen Glanz besaß, aber eine Struktur wie von Schimmel.
Nicht minder ungewöhnlich mutete das Zimmer an, in das Lukastik geführt wurde. Ungewöhnlich, angesichts der ländlichen Umgebung, die hier freilich kaum ins Gewicht fiel. Bloß ein handbreiter Glasstreifen, der jedoch eine gesamte Zimmerlänge durchmaß, gab den Blick nach draußen frei, in das vollkommene Dunkel eines nächtlichen Waldes. Dieselben hölzernen, betonartig derben Latten, welche an dieser Stelle die Fassade bestimmten, bildeten auch die innere Verschalung der Wände und des Plafonds. Der Boden hingegen bestand aus lichtblauem Kunststoff, auf dem ein weißes Bett, ein kleiner, weißer Schreibtisch und noch etwas anderes Weißes standen, das man für einen überdimensionalen Aschenbecher oder ein freistehendes Weihwasserbecken halten konnte, wobei es sich aber wohl schlichtweg um einen Hocker handelte. Dazu ein Fernsehgerät, nicht minder weiß, sowie ein niedriger Bartisch, weiß, aber leer.
Alles war blitzblank, wie nie benutzt. Es roch weder nach Wald noch nach Reinigungsmitteln. Überspitzt gesagt, es roch nach frisch gewaschenem Kleinkind, eine Assoziation, die sich Lukastik wohl in Folge seiner zweifachen Begegnung mit einem Kinderwagen aufdrängte. Nicht, daß er auch nur eine Ahnung besaß, wie frischgewaschene Babys rochen.
Durch eine gläserne, ebenfalls blaue Tür gelangte man in ein kleines Badezimmer, im Grunde eine Duschzelle, aus deren weiß gekachelten Wänden eine Toilette, ein Waschbecken und drei verschieden hoch angebrachte Brauseköpfe wie kleine Kobolde herausstanden. Dieses Badezimmer hatte etwas von einem keimfreien und piekfeinen Vogelkäfig.
Nachdem Lukastik seinen Kopf aus dem Badezimmer wieder herausgezogen hatte, wandte er sich an Frau Beduzzi mit der Bitte, ihn gegen halb sieben zu wecken.
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