Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
vor, daß Lukastik jemandem dankte. Doch Frau Beduzzi war solche Höflichkeiten gewohnt, sie zog Höflichkeiten förmlich an. Was nichts daran änderte, daß sie dankbare Männer stets von neuem zu schätzen wußte. Sie erklärte nun, es sei ihr eine Freude gewesen, Lukastik zum Bunker hinübergeführt zu haben. So wie es ihr eine Freude sei, Lukastiks Nächtigung im »Teich« als kostenlosen Dienst an der Gerechtigkeit zu verbuchen.
»Dumm nur«, ergänzte Frau Beduzzi, »daß Sie jetzt hinter Sternbach her sind. Was so erzählt wird.«
»Ja«, bestätigte Lukastik, »die Leute in der Umgebung werden sich einen neuen Friseur suchen müssen.«
»So einer kommt nicht wieder.«
»Kopf hoch!« sagte Lukastik. In diesem Moment fiel ihm ein, daß Selma Beduzzi ihm gegenüber behauptet hatte, nichts von einem Hörschaden Sternbachs zu wissen. Hatte sie gelogen? Gelogen, da sie Sternbachs Bedürfnis nach Vertuschung respektiert hatte? Oder war ihr schlichtweg dieses verschwindend kleine Gerät niemals aufgefallen.
Lukastik bevorzugte letztere Variante. Jedenfalls unterließ er es, Frau Beduzzi danach zu fragen. Ihm widerstrebte, den Frieden, der in der gegenwärtigen Verabschiedung lag, zu stören, indem er eine Frage zu klären versuchte, deren Klärung nun nichts mehr nutzen würde. Also schwieg er, lächelte bloß ein kleines, präsentartiges Lächeln und schüttelte Frau Beduzzi die Hand, welche sich in der seinen wie harter, kleinporiger Schaumstoff anfühlte. Dann verließ er den Raum.
13 Wenn es denn Heimat wirklich gibt, dann liegt sie wahrscheinlich für die meisten Menschen im Inneren ihres Wagens. Was mit Begeisterung für Motoren oder Geschwindigkeit oder erotischen Verflechtungen gar nichts zu tun haben muß. Das Innere eines Wagens ist schlichtweg übersichtlich und gemütlich. Vertraut und heimelig. Und hinter einem Steuer sitzend, entwickelt der Mensch eine Würde, die er an keinem anderen Ort zu behaupten imstande ist. Schon gar nicht, wenn er Rad fährt. Und am allerwenigsten, wenn er zu Fuß unterwegs ist.
Eine solche Würde verspürte für einen beschaulichen Moment lang auch Lukastik, als er jetzt im Gehäuse seines Ford Mustangs saß und in Richtung besagter Ortschaft fuhr. Einer Ortschaft, die nun doch einen Namen erhalten soll, freilich einen erfundenen, der weniger satirisch klingt als der tatsächliche und dem andererseits etwas von dem Flair anhaftet, den ein Flecken besitzt, der genau zwischen dem Denkbaren und dem Undenkbaren liegt. Der Ort soll Nullpunkt heißen, oder auch Nullpunkt am Kamp, wie der Nebenfluß der Donau genannt wird, der diese Ansiedlung im Norden wie eine Rasierklinge schneidet. Derselbe Fluß, der ja auch das Stift Zwettl halb umfangen hält, gleich einem offenen Gürtel.
Und während Lukastik mit einem gehörigen, aber dennoch nicht ungehörigen Tempo über die Landstraße fuhr, schob er Sternbachs Kassette in den kleinen Rekorder und hörte nun die zweite Seite. Ein wenig hatte er mit dem Gedanken gespielt, daß sich darauf mehr als bloße Musik befinden könnte, etwa ein offenes oder eher ein verklausuliertes Geständnis, wie dies vermutlich in einer erfundenen Geschichte der Fall gewesen wäre. Denn hin und wieder hatte auch Lukastik nichts dagegen, wenn sich eine ideale, kreisrunde, romanhafte Öffnung ergab, aus der die Lösung praktisch schlüpft. Doch seine Hoffnung wurde enttäuscht. Einzig und allein musikalische Aufnahmen waren zu hören, allerdings kein Bach mehr, auch sonst keine alte oder klassische Musik, sondern etwas, das man mit einem schönen, praktischen Plastikteller vergleichen konnte, der noch keine Antiquität war, jedoch abgegriffen und blaß genug aussah, um ein wenig Historie zu versprühen.
Es handelte sich um die Pop-Schlager jenes Mannes, der unter dem Namen Falco berühmt, ja weltberühmt geworden war und welcher während seiner mäßig langen Lebenszeit eine Musik entwickelt hatte, die an das genüßlich-geräuschvolle Ausschlürfen einer Auster erinnerte. Wobei auch stets eine gewisse Bitterkeit anklang, vielleicht darum, weil Austern immerhin Lebewesen sind, die aus ihrer Behausung zu schlürfen eine unglaubliche Gemeinheit darstellt.
Jedenfalls hatte Lukastik durchaus seine Freude an dieser Musik, was für ihn nicht im geringsten einen Widerspruch zu seinen sonstigen musikalischen Leidenschaften bedeutete. Ja, er war sogar der Meinung, daß ein Mensch, der vorgab, Bach zu lieben, mindestens auch einen Mann wie Falco
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