Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
herging, zeigte sich der Chefinspektor erstaunt ob der guten Stimmung, die sie kurz zuvor zum besten gegeben hatte.
»Es war ein Versuch«, sagte sie mit einer Stimme leichter Angetrunkenheit, einer Stimme aus dünnem Eis.
»Was für ein Versuch?« fragte Lukastik. »Der Versuch, sich totzulachen?«
»So ungefähr. Sie haben lange gebraucht, mich abzuholen.«
»Das kommt Ihnen nur so vor«, meinte Lukastik.
Als er zusammen mit der jungen Frau sich nun seinem Wagen näherte, stand eine Gruppe von Männern darum. Lukastik registrierte die Begeisterung dieser Leute angesichts eines solch kultischen Objekts. Erst in dem Moment, da sie Lukastik gewahrten, schien ihnen einzufallen, daß es sich bei diesem Auto um das durch und durch amerikanische Gefährt eines Wiener Polizisten handelte und es also wirklich keinen Grund gab, ein freundliches Gesicht zu machen.
Das abschätzige Gemurmel ignorierend, stiegen Lukastik und Kosáry ein und fuhren los.
Zehn Minuten wurde kein Wort gesprochen. Dann sagte Esther Kosáry: »Ich friere.«
Lukastik schraubte die Kühlung herunter und erklärte: »Ungarn ist gestorben. Ich bringe Sie jetzt nach Wien.«
»Wien ist gut«, kommentierte die junge Frau. »Besser als in Zwettl verhungern.«
»Warum verhungern?«
»Das sagt man so.«
Nachdem Esther Kosáry bis dahin gerade aus dem Fenster gesehen hatte, schob sie nun ihre rechte, aus einem ärmellosen, furnierartig gemaserten T-Shirt herausstehende nackte Schulter nach vorn und drehte ihren Kopf in Lukastiks Richtung. Ihrem Blick nach zu urteilen, war wieder ein wenig Blut in ihre Adern geströmt. Oder auch nur Strom in ihre Haare. Sie sagte: »Sternbach hat Sie angeschmiert, nicht wahr?«
»Das kann man so sagen.«
»Hat dieser Irre was mit dem Mord an Tobias zu schaffen?«
»Möglicherweise.«
Kosárys Hand ging zum Mund. Sie biß in einen ihrer Fingernägel, wie um einen Gegner zu liquidieren. Einen von zehn. »Sagen Sie jetzt nicht, er hat ihn umgebracht.«
»So weit sind wir noch nicht.«
»Sie würden es mir sagen, oder?«
»Ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig«, fand Lukastik. »Wenn es soweit ist, daß die Wahrheit wie eine Mahlzeit auf dem Tisch steht, werde ich Sie zum Essen einladen. Vorher nicht. Das versteht sich.«
Als hätte sie erst jetzt die Bedeutung erkannt, sagte Kosáry: »Sternbach hat mir aufgetragen, Ihnen eine Botschaft zu übermitteln.«
»Die wäre?«
»Er hat gemeint, Sie hätten eine zweite Chance verdient.«
»Das ist aber lieb von ihm.«
»Und daß er in Ihrem Falle eine gewisse Allgemeinbildung voraussetzen könne.«
»Gott, jetzt kommt wohl ein sogenanntes Rätsel«, stöhnte Lukastik, der Feind aller Rätsel.
»Die eigentliche Botschaft«, erklärte Kosáry, »besteht aus einem einzigen Wort: Pferdefuß .«
»Pferdefuß also«, sagte Lukastik und fragte sich, welche Art von Allgemeinbildung hier eigentlich erwünscht war. Natürlich kannte er diesen Begriff als Synonym für den Haken an einer Sache. Und er wußte, daß nach volkstümlicher Überlieferung der Teufel höchstpersönlich über einen solchen Pferdefuß verfügte. Was Lukastik aber in diesem Moment wirklich beschäftigte, beziehungsweise ihn verstimmte, war der Umstand, daß sich Sternbach nun doch zu einer der Unarten hatte hinreißen lassen, wie man sie aus der Fiktion kannte. In einschlägigen Filmen und Büchern geschah es immer wieder, daß Täter, die genialische Züge aufwiesen oder solche zu besitzen glaubten, mit großer Vorliebe Hinweise und Spuren verstreuten, Fährten legten und Signaturen zurückließen. Somit ständig bemüht waren, mit ihren Verfolgern in eine Spielsituation einzutreten, in einen Wettstreit, der nicht selten zu einem peinlichen Ander-Nase-Herumführen der Polizei abflachte.
Von Sternbach hingegen war etwas Derartiges eigentlich nicht zu erwarten gewesen. Denn trotz der verwirrenden Weise, mit der Tobias Oborin zu Tode gekommen war, hatte sich Sternbach der üblichen Mätzchen enthalten. Auch und gerade dadurch, daß er das Versteck Jordans und Boehms ohne große Umstände preisgegeben hatte. Ganz abgesehen davon, wie völlig unkompliziert er im Falle Esther Kosárys vorgegangen war. Jetzt aber schien es, als sei er doch noch der Verlockung erlegen, eine billige Denkaufgabe zu konstruieren, indem er eben nicht nur Esther Kosáry, sondern auch dieses eine Wort zurückgelassen hatte.
»Damit kann ich nichts anfangen«, erklärte Lukastik, ohne auch nur richtig nachgedacht zu haben. »Alles
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