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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hat einen Pferdefuß. Vor allem diese sogenannte zweite Chance.«
    »Ich habe meine Pflicht erfüllt«, meinte Kosáry, unterstützt von einem Schulterzucken. »Und jetzt bräuchte ich dringend eine Tasse Kaffee.«
    »Wir sind aber gerade erst losgefahren.«
    »Haben wir es denn eilig?«
    »Also gut. Für einen Kaffee reicht die Zeit.«
    Nach einigen Kilometern hielt Lukastik an einer kleinen Raststätte, einem erdgeschossigen Komplex mit dem Charme einer Garage. Keine Fenster, bloß Löcher im Mauerwerk, durch die die Frischluft im Würmchenformat strömte. Wenn sie strömte. In dieser Würmerluft hockten drei, vier Gestalten, viel zu besoffen, um auch nur einen verächtlichen Blick zu bewerkstelligen. Man darf nicht vergessen, es war Samstag.
    Eine dicke Frau, die rein gar nichts von der Anmut Selma Beduzzis an sich hatte, nahm auf Lukastiks Bestellung hin wortlos eine Thermoskanne zur Hand, aus der sie einen bereits gesüßten und mit Milch versetzten Kaffee in zwei Tassen goß. Kaffee nach Art des Hauses. Lukastik und Kosáry ergriffen mit leichtem Schauder ihre Tassen und wechselten nach draußen, um unter dem unvermeidlichen Coca-Cola-Schirm Platz zu nehmen. Das Land um sie herum war flach. Auf dem sandigen Parkplatz wirkte der Ford Mustang wie heimgekehrt. Der Kaffee wiederum schmeckte weit besser als befürchtet. Die Menge Zucker mußte man freilich mögen.
    »Wo soll ich wohnen in Wien?« fragte Kosáry nach einer Weile, während sie ihre Tasse mit beiden Händen an die Lippen führte, in etwa wie man die warme Backe eines Kindes berührt.
    »Da gibt es mehrere Möglichkeiten.«
    »Das klingt nicht gut.«
    »Keine Angst«, sagte Lukastik, der sich damit begnügte, den Geruch des Kaffees aufzunehmen. »Es wird keine Pannen mehr geben.«
    »Ist auch nicht wirklich wichtig. Tobias ist tot. Es wäre mir lieber, ich wär’s auch.«
    »Na ja«, war Lukastiks schwacher Kommentar.
    Aber was sollte er auch sagen? Daß ein Mensch mit achtzehn, vielleicht fünfundzwanzig Jahren kein Recht hatte, eine derart legere Haltung gegen das eigene Leben einzunehmen? Blödsinn!
    Kosáry stellte den Kaffee ab und proklamierte: »Man kann nur einmal richtig lieben.« Und weiter: »Das ist keine Frage der Monogamie. Sondern eine Frage des Gegenstands. Man kann denselben Apfel nur einmal essen.«
    »Eine Menge Menschen verlieben sich mehrmals«, stieg Lukastik auf das Thema ein, obwohl das nun wirklich einer der übelsten Gesprächsstoffe war, die er sich vorstellen konnte.
    »Bei diesen Leuten«, meinte Kosáry, »ist das so, daß sie sich immer wieder den Finger in den Mund stecken und Teile von diesem Apfel herausspucken. Und dann schieben sie den speicheligen oder gar halbverdauten Haufen halt wieder in den Mund zurück und behaupten, sich verliebt zu haben. Man kann sich denken, was da im Laufe eines Lebens zusammenkommt an grauslichem, wiedergekäutem Apfelbrei.«
    Einen Moment zögerte Lukastik. Der Pietät wegen. Doch der Ärger setzte sich durch. Der Ärger ob einer solchen Übertreibung. Weshalb er also darauf verwies, daß Tobias Oborin auch nicht mehr der jüngste gewesen sei und wohl auf einige Liebschaften habe zurücksehen können. Auf eine Menge Apfelbrei sozusagen.
    »Ich sprach von meiner Liebe zu Tobias«, erinnerte Kosáry, »nicht von seiner zu mir. Sie scheinen mich immer noch für ein Kind zu halten. Natürlich habe ich mir denken können, daß Tobias nicht fünfundvierzig Jahre seines Lebens gewartet hat, um in diesen einen Apfel zu beißen, der da Liebe heißt. Ich kann Ihnen sagen, sein erster Kuß hat richtiggehend gärig geschmeckt. Was nicht heißt, mich hätte geekelt. Aber ich wußte eben, daß seine Liebe zu mir ein bloßer Nachhall ist. Nachhall klingt netter als Wiederkäuung, stimmt’s?«
    »Das kann man wohl sagen«, gab Lukastik gerne zu.
    Kosáry betonte nun – wie um Frieden zu schließen mit dem Mann, mit dem sie da im roten Schatten eines Coca-Cola Schirms saß –, sie betonte also, daß ein fortgeschrittenes Alter natürlich nicht ausschließe, daß die betreffende Person noch immer einen unangetasteten Apfel in der Tasche trage. Was dann allerdings bedeuten würde, daß alle bisherigen Beziehungen und Liebschaften »apfellose« und somit »fruchtlose« Ereignisse gewesen waren.
    »Apfellos«, sagte Lukastik, nun endlich ein wenig erheitert, »würde dann aber auch ziemlich substanzlos bedeuten.«
    »Völlig substanzlos«, nickte Kosáry und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee.

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