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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Autos bloß zu parken schienen. Wurzellose Imitate, wie ja auch die Wagen aussahen wie hingestellt und nicht wieder abgeholt.
    Daß Lukastik besagten Ort ansteuerte, hing damit zusammen, daß sich in dieser Straße – selbstverständlich von außen nicht zu erkennen – ein Hotel befand, in dem er ab und zu eine Nacht verbrachte. Immer dann, wenn es ihm widerstrebte, nach Hause zu gehen. Dorthin, wo nicht nur seine greisen Eltern, sondern auch seine Schwester lebte. Und eben auch er selbst. Die große, alte Wohnung, in der sämtliche Gegenstände einen verseuchten und verstrahlten Eindruck machten. Wertvoll, aber verstrahlt. Ein Lazarett für Antiquitäten. Ein Lazarett, aus dem diese alten und kranken und lädierten und nicht zuletzt vom Leben beleidigten Möbel nie wieder herauskommen würden.
    Und wenn Lukastik also diese Lazarettsituation wieder einmal satt hatte oder auch nur eine bezahlte Dame mit aufs Zimmer nehmen wollte (denn bis auf eine Ausnahme konnte er sich Damen nur als bezahlt vorstellen), dann fuhr er hinüber in die Universumstraße, betrat ein graues, kaltes Haus, stieg in den vierten Stock hinauf und klopfte an die Türe der Pension Leda .
    Die Sache mit dem Schwan? fragten neue Gäste immer. Aber gemeint war einfach die Besitzerin, von der genauso wie im Fall des Hiltroffer Bürgers Götz nur der Vorname bekannt war: Frau Leda.
    Selbige Frau Leda stand wie so oft im Bereich der kleinen, dunklen Theke, welche die Rezeption bildete. Hinter ihr das Schlüsselbrett. Es war eine strenge Regel, daß niemand einen Schlüssel mit nach draußen nehmen durfte. Und tatsächlich schien es keinem Gast je gelungen zu sein, ungesehen an Frau Leda vorbeizukommen. An ihr oder einem ihrer Söhne, die kaum jünger wirkten als die alte Frau und die in ständiger Furcht lebten, einen Fehler bezüglich der Schlüssel zu machen. Überlistet zu werden von jemand, der sich heimlich hinausschlich. Was aber sowieso kaum jemand versuchte. Die meisten Gäste waren Stammgäste, einige lebten seit Jahren in der über zwei Stockwerke führenden Pension. Dazu kamen Handelsvertreter, die regelmäßig hier abstiegen. Vertreter von der alten Art, kleine Männer mit großen Taschen. Selten verirrten sich Urlauber an diesen Ort, Leute, die man von einem vollen Hotel zum nächsten geschickt hatte und die letztlich in der Pension Leda wie in einem verwackelten, unscharfen Experimentalfilm gelandet waren. Dann standen sie in der Mitte der schattenreichen, muffigen, mit alten Teppichen ausgelegten Lobby, ängstlich, unsicher, ihrerseits viel zu bunt gekleidet, unpassend. Im Bewußtsein dieses Unpassendseins büßten sie rasch ihre Wir-sind-Touristen-wir-dürfen-alles-Attitüde ein und verhielten sich geradezu untertänig, als wären sie bereit, auch in der Besenkammer zu übernachten.
    Frau Leda besaß so einen gewissen Blick, der nahelegte, daß sie noch Kaiser Franz Josef persönlich die Hand geschüttelt habe. Und es dürfte ja zwischenzeitlich kein Geheimnis mehr sein, daß es Leute gibt, die so alt werden wie die ältesten Schildkröten. Und älter. Es ist schwer zu sagen, warum das so ist, warum es Zweihundertjährige gibt. Einige behaupten, daß allein die Bosheit einen Menschen so lange am Leben zu halten versteht. Der Unwille, den eigenen Kindern und Enkeln und Urenkeln das Feld zu überlassen, und sei das Feld auch nur ein kleines, staubiges Hotel. Ja, vielleicht war es so, vielleicht war Bosheit die stärkste Kraft im Universum.
    Dabei konnte Frau Leda auch überaus charmant sein. Etwa jetzt, als sie aus runden, feuchten Augen den Chefinspektor Lukastik betrachtete, ihre Lippen wie ein kleines Fischernetz anhob und meinte: »Wie schön, wenn uns wieder einmal die Polizei beehrt.«
    »Wie geht es Ihnen?« fragte Lukastik.
    »Na ja, die Knochen«, seufzte Frau Leda. Stand dabei aber so gerade und aufrecht, wirkte so schildkrötenartig kompakt, daß man sich kaum vorstellen konnte, daß irgendein Gebein die alte Dame quälte.
    Eingedenk der Überreste der Andrea Pero, philosophierte Lukastik: »Und dennoch sind es die Knochen, die von uns zurückbleiben.«
    »Ah! Ich seh schon«, lachte Frau Leda, »Sie haben Ihre sentimentale Phase. Darum sind Sie ja auch hier, nicht wahr?«
    »Genau.«
    »Ich gebe Ihnen ein Zimmer nach hinten raus.«
    »Fein.«
    Nach hinten raus, das bedeutete, daß man einen Blick auf die weite Anlage eines Rangierbahnhofs hatte, jenseits davon aber – deutlich wie sonst kaum – das Riesenrad sah, diese

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