Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Vierundzwanzig kein kleines Mädchen mehr. Sie hatte ihre Ängste ganz gut im Griff. Soweit, daß sie auch noch über die Zeit und Kraft verfügte, die Ängste ihres Bruders zu beherbergen.
Für Lukastik sollte es die wirklich einzig erfreuliche Liebesbeziehung seines Lebens werden. Obwohl seine Schwester schon damals ein wenig anstrengend gewesen war. Anstrengend, aber souverän. Und schön. Und verführerisch. Und auch nur dann schwierig, wenn es um die Details ging. Man kennt diesen Typus: Menschen, die beim besten Willen nicht sagen können, ob sie sich für laubgrüne oder maigrüne Socken entscheiden sollen, die aber umgekehrt – ohne auch nur einmal richtig hingesehen zu haben – ein ganzes Grundstück kaufen, ganz im Vertrauen, eh immer das richtige zu tun.
Im Falle Alexas hieß das, daß sie sich gerne über die Ansichten und Anzüge, über die Frisur, den Musikgeschmack oder die Freunde ihres Bruders echauffierte, aber in dem Moment, da sie mit ihm ins Bett stieg, zu quatschen aufhörte, um sodann ohne Umstände, ohne Brimborium und ohne Gebrauchsanweisungen für den weiblichen Körper daranging, guten Sex zu haben. – Das gibt es nämlich wirklich: guten Sex. Und zwar nicht nur eingebildeten guten Sex. Guter Sex ist wie ein Haus bauen, ein einfaches Haus, was ja nicht bedeuten muß, ein häßliches. Dumm nur, daß die meisten Menschen komplizierte Häuser für die besseren halten, man bedenke bloß Garagen und vor allem Garagentore, als könnte man ein Auto nicht auch auf der Straße parken, wo es eigentlich hingehört. Wenn die Leute beginnen, an Garagen zu denken – in der Architektur wie im Sex –, ist die Sache auch schon gelaufen. Nein, einfache Häuser sind die richtige Lösung. Häuser, die man theoretisch mit wenigen Handgriffen zusammenklappen könnte. Ohne erst ein Vordach und anderen Unfug abmontieren zu müssen. Aber wie es scheint, haben die Leute lieber tausend Jahre schlechten Sex, bevor sie auf ein Vordach und ein Garagentor verzichten.
Nicht so Alexa damals. Und Richard war so klug gewesen, die »architektonischen« Ansichten seiner Schwester zu übernehmen, sprich, sich daran zu beteiligen, einfache Häuser zu bauen.
Fast ein Jahr lang hatten sie solche Häuser errichtet und auf diese Weise eine hübsche, kleine, wohlgeordnete Siedlung zusammenbekommen, keine Schloßanlage und keine Skyline, sondern ein undramatisches, stilles Ensemble. Nichts, wofür sie sich hätten genieren müssen. Dennoch war es ihnen natürlich unmöglich gewesen, ihre Beziehung öffentlich zu machen. Vom gesetzlichen Standpunkt einmal abgesehen, hätten sie auf diese Weise ihre Eltern in eine fürchterliche Situation gebracht, in einen Zustand unaussprechlicher Demütigung. Der Vater, Diplomat, die Mutter, eine geachtete, umtriebige Dame der Gesellschaft, wären durch diese Geschichte in einen Skandal geschlittert, welcher beide aufgefressen hätte. Von dem sie sich nie wieder erholt hätten. Niemand wäre bereit gewesen, ihnen die Hand zu reichen, niemand hätte ihnen aus der Scham herausgeholfen. Nicht in Wien und schon gar nicht in der Diplomatie.
Alexa wie Richard war die Vorstellung, ihre Eltern auf diese Weise zu ruinieren, ein Greuel gewesen. Obgleich sie ja diese Eltern nicht wirklich liebten. Dazu waren die Alten viel zu unnahbar, zeremoniell, kalt, fischartig, viel zu…theoretisch, ja, es waren theoretische Menschen. Aber so theoretisch sie sein mochten, konnten ihnen die Geschwister eine solche Schmach nicht antun. Nie und nimmer. (Man muß allerdings sagen, daß Richard Lukastik in gemilderter Form doch noch Schande wenigstens über seine Mutter brachte, indem er nämlich Polizist wurde, na ja, Kriminalist, jedenfalls einen Beruf ergriff, den seine Mutter als »degoutant« empfand, als Ausdruck einer Schwäche für das Verbrechen, als ein Gutheißen menschlicher Verworfenheit. Sie vertrat nämlich die recht ungewöhnliche Position, daß, wo eine Polizei, auch ein Verbrechen existiere. Die Frau war ein radikaler Schöngeist. Sie erklärte: Das Häßliche denken bedeutet, es zu ermöglichen.)
Auch wenn also Alexa und Richard zum Schutz ihrer Eltern das Geheimnis bewahren wollten, bestand freilich die Gefahr, daß die Sache von selbst herauskam. Daß ein dummer, kleiner Zufall die Wahrheit ans Tageslicht befördern könnte. Zudem war es so, daß man eine große Liebe – so schön die Häuser sein mochten, die unter der gemeinsamen Bettdecke entstanden – nicht ewig zwischen den vier Wänden
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