Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Herstal? Oder verdiente er es, bis ans Ende seiner Tage in Hiltroff zu sitzen, genauer gesagt im POW!, um dort sein kleines Vermögen tröpfchenweise in die Geldbörse des Wirts Job Grong sickern zu lassen? Und dabei immerhin eine Symbiose zu leben.
Gab es de facto etwas Besseres als diese Symbiose?
»Ich würde gerne zurück ins POW! fahren«, bat Olander. »Ich habe Durst.«
»Gut, machen wir«, antwortete Lukastik.
Ohne Gruß verließen sie Pichlers Büro, verließen das Gelände und stiegen in den BMW.
»Ich werde nach Wien fahren«, kündigte Lukastik an, »und mir diesen Dr. Grünberg vorknöpfen. Sie bleiben hier.«
»Natürlich bleibe ich hier«, sagte Olander. »Wohin auch sollte ich gehen?«
Ja, wohin sollte dieser Mann gehen?
Bevor sie das POW! erreichten, bog Lukastik in eine Tankstelle ein und sagte: »Wenn Sie erlauben, Olander, spendiere ich dem Wagen eine Autowäsche.«
»Halten Sie das für nötig?«
»O ja, das tue ich.« Lukastik steuerte das stark verdreckte, hinter der Schmutzschicht fast schon unförmige Automobil in die Waschstraße hinein.
Als man sich nun in jener gerippten Dunkelheit befand, die an einen vors Gesicht gehaltenen Waschlappen erinnerte, drehte sich Olander zu Lukastik und sagte: »Ich mag nicht glauben, daß Sie Irene wirklich laufenlassen.«
»Ja und nein«, antwortete Lukastik. »Natürlich kann ich nicht so tun, als hätte diese Frau nie existiert. Sie steht ja noch immer im Verdacht, etwas mit dem Tod Andrea Peros zu tun zu haben. Und mit dem Verschwinden der Leiche sowieso. In jedem Fall müßte man sie befragen.«
»Aber Sie wollen gar nicht mit ihr reden, habe ich recht?«
»Sagen wir so: Ich will der Frau, die sich Dora Kolarov nennt, einen Vorsprung verschaffen. Ich finde, das steht ihr zu. So ungefähr bis morgen früh. Und dann werde ich meinen schlechtesten Mann auf sie ansetzen.«
»Sie sind ein komischer Polizist«, meinte Olander.
»Wieso?«
»Sie spielen Gott.«
»Ich finde, ich spiele besser als Gott«, verkündete Lukastik. Und wenn er sagte besser , dann meinte er gütiger .
Die beiden Männer verfielen in ein Schweigen. Sie hockten in ihrem beutelartigen Extrauniversum und sahen hinaus auf die rotierenden Bürsten, auf eine verrückt sich drehende Außenwelt.
Als sie die Waschstraße verließen, sang ein Vogel. Dabei wird immer behauptet, in Hiltroff gebe es keine Vögel.
17
Lukastik machte sich auf den Weg. Und zwar in jenem so lange vernachlässigten BMW M1 des Vinzent Olander. Die Waschung dieses Wagens hatten die Hiltroffer als einen christlichen Akt begriffen. Welcher allerdings rasch von dem Gerücht ersetzt worden war, der verdammte Wiener Polizist habe den Wagen konfisziert. Was bildete sich der Kerl ein? Daß er Clint Eastwood war? Man hätte diesen Stadtbullen am liebsten lynchen mögen.
Doch der Stadtbulle fuhr in die Stadt. Hinüber nach Wien, so wie man sagt, man gehe ein bisserl sterben . Diese dauernde Sterberei in Wien ist mehr als ein Klischee, es ist ein Superklischee, die Veredelung eines Klischees, die Smaragdisierung eines Klischees. Dabei dreht es sich weniger um den Tod als um das Reden darüber. Die Begeisterung für eine Sache, die man für exklusiv hält. Als seien letztendlich nur geborene Wiener in der Lage, wirklich und richtig zu sterben. Und nicht dauernd wiedergeboren zu werden und solche Halbheiten.
Kurz bevor Lukastik diese dotterartig in ihrem Klischee schwimmende Stadt erreichte, hielt er erneut an einer Tankstelle. In der Manier all der Zeitreisenden, die versuchen praktisch bei sich selbst in der Zukunft anzurufen, sah er nach einem Münztelefon. Er fand eines, nahm den kalten, ungewohnt schweren Hörer und wählte die Nummer, die ihm Pichler gegeben hatte.
»Sie sprechen mit Dr. Grünberg«, meldete sich eine Stimme, die etwas von einem perfekt gegen die Wand geschraubten Brett hatte. Ein Brett, das man nie wieder von dieser Wand herunterbekam. Und man also im Ernstfall nicht das Brett, sondern die ganze Wand würde abreißen müssen.
Lukastik sagte, wer er sei. Und fügte an: »Wir sollten uns sehen.«
»Zu welchem Zweck?« fragte Grünberg.
»Vielleicht brauche ich ja einen Anwalt.«
»Bei allem Respekt, Herr Chefinspektor, aber glauben Sie wirklich, Sie können sich mich leisten?«
»Leisten sicher nicht. Aber man darf einander ja helfen.«
»Wie wollen Sie mir helfen?« Grünberg lachte.
»Indem ich von den Schwierigkeiten«, lachte Lukastik zurück, »die ich imstande bin, Ihnen zu
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