Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
kleine Serie produziert, nur für die Leute im Haus, die Mitarbeiter, eine sehr schön gearbeitete Gruppe in kleinster Auflage. Eher Kunst als Spielzeug, wenn ich das sagen darf. Die Objekte waren sehr begehrt. Wenn Colanino-Figuren ein Kult sind, dann erst recht diese kleine Gruppe aus Karnevalsfiguren, Ahnen unter Masken. Die meisten Mitarbeiter haben ihre Figuren an Sammler verkauft.«
»Giorgio Straub aber nicht, wie es scheint.«
»Mir war gleich unwohl«, sagte Pichler, »als Sie da Ihre Figur – den Ahnen mit der Menschenmaske – aus der Tasche gezogen haben. Ich war unsicher. Ich wollte lieber nicht darüber reden.«
» Nicht reden? Sie haben mich angelogen, das ist etwas anderes.«
»Sagen Sie immer die Wahrheit?« fragte Dr. Pichler.
»Wenn ich lüge, dann weiß ich, was ich tue«, posaunte Lukastik.
Pichler nickte. Ja, das war wohl tatsächlich ein Unterschied. Er, Pichler, wußte schon seit einiger Zeit nicht mehr, was er tat. Zuviel Ängste bestimmten sein Handeln. Ängste vor den Italienern. Ängste vor dem Untergang der Fabrik, dem Untergang des Dorfes, dem Untergang der eigenen Familie, der eigenen Person. Pichler gehörte nicht zu denen, die ganz einfach den Job wechseln und ein anderes Unternehmen würden leiten können. Nein, diese Fabrik oder keine. Für die Pichlers dieser Welt gab es immer nur ein Hiltroff.
»Da wäre noch eine Person«, sagte Lukastik, »nach der ich Sie fragen muß: Dora Kolarov.«
»Die Putzfrau?« Dr. Pichler schien ehrlich erstaunt. »Was wollen Sie denn von der?«
»Wie kam Sie zu Ihnen?«
»Äh… Kann ich mich nicht erinnern. Da müßte ich nachfragen.«
»Fragen Sie nach«, ordnete Lukastik an.
Pichler nahm den Hörer zur Hand, ließ sich mit der Personalabteilung vermitteln, sprach, hörte zu, murmelte, legte auf. Er blickte Lukastik aus geschwollenen Augen an und sagte: »Langsam verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Es war dieser Giorgio Straub, der uns gebeten hat, Frau Kolarov anzustellen. Er rief uns aus Mailand an. Wenn ein Colanino-Mann uns um etwas bittet, dann erfüllen wir ihm selbstverständlich seinen Wunsch. Ohne nachzufragen. So ist die Regel. Doch davon abgesehen, kann ich nichts Schlechtes über Frau Kolarov sagen.«
»Die perfekte Putzfrau.«
»Sie sagen es«, stimmte Pichler zu und lehnte sich zurück. Er hatte sich endgültig gefangen. Er wirkte jetzt wieder direktoral und geschäftsmännisch. Als hätte er eine Menge Arbeit. Als hätte er eine Zukunft, während das natürlich genau das war, was er nicht hatte.
Lukastik erhob sich, betrachtete kurz den Roy Lichtenstein an der Wand – eher abfällig, wie man Geweihe oder auf Safaris erlegte Tiere abfällig betrachtet –, wandte sich wieder Pichler zu und fragte: »Dieser Anwalt aus Wien. Wer ist das?«
»Ein Dr. Grünberg.«
»Und wo finde ich den?«
»Wieso? Wollen Sie sich mit den Colaninos anlegen? Das wäre sehr vermessen, wenn Sie erlauben, daß ich das sage.«
»Nein, ich erlaube nicht. Also: Die Adresse von diesem Anwalt.«
»Eine Handynummer«, sagte Pichler. »Mehr habe ich nicht.«
»Also gut«, meinte Lukastik und ließ sich die Nummer geben. Dann blickte er hinüber auf die Zehn-Millimeter-Pistole und erklärte: »Ich bin nicht Ihr Vormund. Darum lasse ich die Waffe hier. Ich werde Sie nicht einmal darum bitten, vernünftig zu sein.«
»Zu gütig«, antwortete Pichler, der natürlich wußte, daß Lukastik als erstes die Wirtschaftspolizei darüber informieren würde, das Hiltroffer Unternehmen genauestens unter die Lupe zu nehmen. Andererseits: Die Lupen in diesem Land funktionierten anders: Aus Fliegen wurden Elefanten, das ist nicht neu, aber vor allem aus Elefanten Fliegen.
Olander war die ganze Zeit über am Fenster gestanden, um hinunter aufs Land zu sehen, auf die schwermütig dahinsinkenden Wellen aus löchrigem Karst. Er hätte sich so sehr gewünscht, dem Mädchen, das für ihn immer nur Clara gewesen war, einmal zu begegnen. Sie einmal in die Arme nehmen und ihr etwas versprechen zu können. Es mußte schön sein, Kindern etwas zu versprechen. Kinder glaubten an Versprechungen.
Die traurige Realität war nun aber die gewesen, daß Olander in einem U-Boot sitzend und durch ein Fernglas sehend das erste und einzige Mal dieses Kind zu Gesicht bekommen hatte. Und ein tiefes, stechendes Gefühl sagte ihm, daß es auch das letzte Mal gewesen war. Daß er dieses Kind nicht verdiente.
Aber was verdiente er denn eigentlich? Eine Frau wie Marlies
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